102, Teil III: Erwartungshaltung
Bafasee, April 2016.
Die Ufer waren übersät mit kleinen, dunklen Miesmuschelschalen, aus dem klaren Wasser ragten raschelnde Binsen. Fröhlich bemalte Boote in Rot und Blau und Gelb schaukelten am Anker, leise glucksend. Ich spürte die raue Haptik und die Wärme des aufgeheizten Gesteins, das ich mir als Rastplatz auserkoren hatte, abseits von den anderen dreien, die inklusive Guide sämtlich Raucher waren, woran ich mich anfänglich kaum gestört hatte, bis die Pausen dichter aufeinanderfolgten, die Gehintervalle sich verkürzten und das Verweilen zum Ziehen an den Zigaretten (jeweils mehrere hintereinander) sich ausdehnte. Zum einen belästigte mich der Nikotingeruch bei der olfaktorischen Naturwahrnehmung, zum anderen war ich dadurch aus dem Rhythmus gebracht: ich mag es, mindestens zwei Stunden am Stück zu laufen, anstatt alle zehn Minuten innezuhalten, um zu trinken, im Rucksack zu kramen, Kleidungsstücke an- oder auszuziehen, zu verschnaufen oder eben zu rauchen. Gewissermaßen hatten mir die Gefährten damit die Tour verlitten, den Genuß deutlich geschmälert, was mich mit Zorn erfüllte. Ein Paradies um mich herum und in mir brodelte die Wut, welch eine Vergeudung…
Warum kann man häufig Dinge nicht ausblenden oder herunterschlucken, über sie hinwegsehen? Oft schon habe ich mich an Ärgernissen festgebissen, mich gar hineingesteigert in sie, bin in Gejammere ausgebrochen, Gezetere, habe mich regelrecht verloren in Beschwerden, blind geworden für die guten Dinge, ich denke da zum Beispiel an meine Sri Lanka – Reise, die trotz aller neuen Erfahrungen und unzähliger Tiersichtungen zu einer meiner mißlungensten Touren überhaupt zählt (vgl. Einträge 16 bis 21). Weshalb überkommt einen zwangsläufig das Gefühl, man habe ein Recht auf erfüllte Erwartungen, ein Recht, das man trotzig, stampfend, greinend, unreif einfordert? Ein Recht auf Schönwetter. Ein Recht auf Stille, Alleinsein (die anderen sind abschätzig eingestufte Touristen, „Die Touristen“ heißt es dann, verspottet, belächelt, und man selbst? Man selbst ist ganz klar Reisender, eine ehrwürdige Sorte sich ins Ausland Begebender, doch nie, niemals ist man Tourist, gehört man zur Masse). Ein Recht auf angemessene Preise. Ein Recht auf seltene Naturschauspiele. Auf fulminante Erlebnisse. Köstliche Küche. Gemütliche (oder wenigstens annehmbare) Unterkünfte. Freundliche Gruppenteilnehmer. Ein Recht auf reibungslose Tourenverläufe ohne Komplikationen, Stau, Verzögerung. Ein Recht auf brillante Fotos und ergiebige Storys. Sind das die Konsequenzen eines nach John Stuart Mill gelebten Hedonismus´? Einer absoluten Ich-Gläubigkeit der aktuellen westlichen Welt, die sich rasch globalisiert, sobald man den Kämpfen um das Existenzminimum hat enfliehen können? Ich bin so fürchterlich verwöhnt, verzogen. Was echauffiere ich mich über Zigarettenqualm? Ach, ich wünschte, ich könnte meinen grantigen Unmut in Situationen, die nicht nach meinen Wünschen, Sehnsüchten, Träumen verlaufen, endlich überwinden und mich dem Echten widmen, dem Schönen, das trotzdem vorhanden ist.
Offen seiend für die geschwinden Augenblicke, die sich unscheinbar und leise ereignen und die man dennoch nie vergißt, wie etwa der verliebte Gesichtsausdruck einer Marktfrau, die inmitten des Gewühles um sie herum nur Aufmerksamkeit für ihren Standkollegen übrig hatte, ihn zärtlich studierend und selig anlächelnd.