Autor: kunstfotografie

266 Sickerndes Ennui

München, Januar 2024. Ich hatte zu konstatieren, daß ich offenbar weniger kultiviert war als angenommen. Höchst dankbar war ich für das Gesteck auf der rechten Seite der Bühne – hätte ich eine Karte für die linken Reihen gewählt, der Himmel weiß, wie ich die Konzertstunden durchgestanden hätte… So gab es etwas, das meinen Blick gefangen…
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265 Ein schräger Vogel im Januar

Brüssel, Januar 2024.   Es mochte am Garden Smash (Feigenlikör mit einer Basilikuminfusion, Zitronensaft und Gin) gelegen haben, daß ich ihn so unverhohlen anstarrte von meinem Tisch aus, wo die Tellerchen voll angerichteter Speisen wie Paprikahumus, Falaffel, Haloumi, Tahin und Rosmarinbrot appetitlich lockten und ein Kerzenlicht warm aber einsam vor sich hinflackerte. So unverhohlen, daß…
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264, Teil II: Sitzung

Japan, Oktober 2023. Ich erwartete nichts, ich wollte nichts; mein Wunsch war bereits erfüllt: unter Anleitung, nein: im Beisein eines buddhistischen Mönches in Japan zu meditieren. Der Meditation gebürt mein höchster Respekt, zugleich hatte ich mich stets davor gescheut, selbst still zu verharren im Nicht-Denken, hatte es nie ernstlich ausprobiert, der Wissenschaftsdokumentationen und – bücher…
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263, Teil I: Heimweg mit Virginia

Japan, Oktober 2023. Sie, die mit Steinen beschwerter Schürze ins Wasser gestiegen war, um dem ein Ende zu bereiten, was sie längst als Bürde empfand, nämlich das, was anderen als Leben lieb und teuer ist, sie stand nach bald einhundert Jahren neben mir, dozierend. Ich lauschte ihrem eindringlichen Apell, ihrer leidenschaftlichen Rede voller Witz und…
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262 Mönches Rat

München, Dezember 2023.   Ich habe bisher nie Gedichte von einem Mann erhalten, und nun werde ich in Zeiten, in denen handschriftliche Post nur noch zu Geburts- und Feiertagen verschickt wird, wenn überhaupt, jeden Monat in meinem Briefkasten Lyrik vorfinden. Sie wurde weder für mich geschrieben, noch kennen Verfasser und Adressat einander, was meiner Vorfreude…
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261 Große Erwartungen

München, Oktober 2023. Japan ragt wie ein riesengroßes Tor vor mir auf, einschüchternd und verlockend zugleich. Ganz unwirklich steht die Reise bevor; was ich mir für mein Japan wünsche: daß ich zu den Wurzeln zurückspüre, ich die Richtung wiederfinde, die zu mir gehört, meine Lebenszuversicht. Daß ich mich positiv im Shintoismus auflöse. Daß die Texte…
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260 Lee Miller drängt mich nach Hamburg

Hamburg, September 2023.   Dieses Stück ist eine poetische Tragödie. Uns wird die endgültige Auflösung einer wertvollen Person vorgeführt, die früher große Fähigkeiten besaß und die auch noch in ihrem Untergang einen höheren Wert hat als die „gesunden“, gewöhnlichen Figuren, die sie umbringen. (aus dem Programmheft zu John Neumeiers „Endstation Sehnsucht“, Ballettadaption nach Tennessee Williams)…
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259 Als gäbe es den Menschen nicht

München, August 2023. Es ist mir, als gebe es den Menschen nicht; als habe wer mit dem Zauberstab alle Tiere herbeigehext, so häufig zeigen sie sich die letzten Wochen. Als sei die Arche Noah ganz in der Nähe gestrandet und habe ihre Passagiere in einem Schwall ausgespiehen, mir quasi vor die Füße, unter die Nase…
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258 Drei Nachrufe

München, August 2023. Hat man jemanden gern, oder hat man die Idee von jemandem gern? Oder hat man gern, daß jemand positiv reagiert auf einen? – Es gab früher eine alte Dame, der ich manchmal beim Gassi begegnete; sie hatte einen kleinen Mischling, der zufällig aussah wie ein Japan Jin, mit leichtem Überbiß und dem…
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257 Revue-Abend

München, Juli 2023. Sie schwebte in den mit geschwärzten Hölzern ausgekleideten Saal wie ein Feenwesen, nicht von dieser Welt; obwohl groß gewachsen, wirkte sie zierlich, fast ätherisch mit ihrer milchweißen Schneewittchenhaut und dem hauchrotblonden Haar. Ihr bodenlanges, enges, rückenfreies Kleid war gold-aprikotfarben und über und über mit Stab- und Rundperlen, mit Pailletten besetzt, ungewöhnlich elegant…
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