306 Sich entschuldigen

306 Sich entschuldigen

München, September 2025.

I

Gerade Bemerkungen von Menschen, die man achtet, können unabsichtlich Schaden anrichten; Mißverständnisse in der Kommunikation sowie ein zufällig falsch gewählter Zeitpunkt, in der sie (virtuell natürlich) stattfindet, besiegeln einen Kontakt, peng, weg, üblich heutzutage. Hm. Manchmal, und das mag theatralisch klingen, entspricht aber der emotionalen Wahrheit, agiere ich aus dem Überlebensmodus heraus, da wird man blind und taub für Zwischentöne, für Empathie und das Ertasten anderer Positionen. In einem Sachbuch über Hochsensibilität sah ich mich verblüffend portraitiert, daß man als solcher „zu viel“ sei dem Umfeld; daß man sich instinktiv zu reduzieren versuche, anzupassen, zu verstellen und letztlich zu verleugnen und man dadurch „falsche“ (nicht im Sinne von hinterfotzig oder schädlich, sondern als nicht geeignet für einander) Leute anziehe, weil die „richtigen“ einen ja hinter der Maskerade gar nicht zu erkennen imstande seien. Ich möchte mich nicht als Lügnerin verstanden wissen! Aber was man für Rücksichtnahme hält, für Kompromißbereitschaft, Brücken bauen, höflichen Umgang, das führt Schritt für Schritt eine Einbahnstraße entlang, die sich unmerklich in eine Sackgasse wandelt; früher oder später steht man mit dem Rücken zur Wand, und diese Wand ist tatsächlich ein Wall aus Lügen, die sich peu à peu aufgetürmt haben, angesammelt wie Sand im Wind. Es beginnt damit, daß ich eigentlich nie irgendjemandem von meinem Schreiben erzähle, daß ich die Bedeutung dessen für mich verheimliche, vor Familie, engen Freunden, frischen Bekanntschaften. Zum einen ist Schreiben ein extrem intimer Vorgang (sogar oder gerade, wenn man es z.B. in einem Blog öffentlich stellt), zum anderen glaubt man zwangsläufig, nicht ausgefeilt genug zu sein, weil man sich der Holperer in seinem Ausdruck durchaus bewußt ist, der Schwächen und Unstimmigkeiten. Neu an der Lektüre über Hochsensibilität war mir der Fakt, daß auch das Zweifeln dazugehört, der inherente Perfektionismus, der so vieles zerstört oder zumindest erschwert.

Das war sicherlich eine der kompliziertesten Entschuldigungen, die du je gehört hast, nicht als solche zu erkennen. Ich glaube ja, daß du seit der letzten What´s App vor Monaten das Lesen hier eingestellt hast und vieler Überzeugungen wegen, die wir nicht teilen, wo wir unterschiedliche Positionen vertreten (obwohl wir beide der Sorte Mensch angehören, die das ganz gut aushalten können). Du meintest, im Scherz wohl, verknappt dargestellt, meine Texte seien bisher nicht veröffentlicht, richtig, über einen Verlag in Buchform, weil ich meinen inneren Schweinehund nicht zu überwinden imstande sei. Das hat immens getroffen. Der Kommentar fiel in einen Zeitraum, in dem alles schwarz war. In einen Sturm hinein ploppten deine Zeilen. Weißt du; du hast mir zugehört, damals auf Sizilien, in deiner ruhigen, bedächtigen, klugen Art; hast mir Aufmerksamkeit geschenkt und mir die Ehre erwiesen, sämtliche bis dato erschienen Blogtexte in einem Rutsch zu lesen (was nicht einmal ich getan habe je), hast mir eine Erfahrung geschenkt, eine Ausfahrt auf deinem Motorrad, und da neue Eindrücke der Sauerstoff meiner Seele sind, ein Stücklein gestillter Lebenshunger, war dies ein immens kostbares Geschenk. – Es geht mir besser jetzt. Dinge klaren auf. Man findet zurück zu sich, zu seinem Verstand, Urteil. Man hat wieder die Kraft, in anderer Leute Köpfe zu tauchen und den Versuch zu starten, sich in sie hineinzuversetzen, ihr Agieren, Denken, Wünschen. Wie oft im Leben mag das zu spät kommen. Ich will daran nicht rütteln. Du hast mir sehr weh getan mit dem Vorwurf, den inneren Schweinehund nicht überwinden zu wollen, weil ich allgemein für faul und in praktischen Angelegenheiten phlegmatisch-träge gehalten werde, für völlig unfähig, und du hast mir weh getan damit, weil ich es im Grunde ja selbst glaube: daß ich willensschwach bin, handlungsgehemmt, passiv, es nicht wert, gedruckt zu werden, gelesen. Kein Vorwurf an dich steckt dahinter, ich wollte mich dir nur erklären. Die Heftigkeit einer Reaktion erklären, die dich brüskiert hat, überrumpelt. Es tut mir leid von ganzem Herzen. Ich wünsche dir viel Gelingen weiterhin für deine Fotografieprojekte, Freude am Bild und Inspiration.

 

II

Ich möchte um Verzeihung bitten, und zwar all jene, die je das Pech gehabt haben, sich in mich zu verkucken. Die schwärmten, sich angezogen fühlten, mich sehr mochten, denen Schmetterlinge im Bauch umherflatterten, die plötzlich nicht wußen, was sie sagen sollen, wenn sie mich trafen. Die mir verstohlen diese Blicke zuwarfen oder allen Mut gefaßt haben, mich auf ein Glas Sekt (oder Wein oder Bier) einzuladen. Die mir mailten, von sich erzählten, mir Dinge anvertrauten, darunter oft schwere Kost, die zu teilen nicht leicht ist. Die regelmäßig mit mir zu tun hatten, meiner Launen zu trotz und obwohl ich andere Sorten Männer offensichtlich für spannender erachte, und das in ihrer Gegenwart… Ich möchte mich entschuldigen dafür, daß ich die Gefühle nicht erwidere. Daß ich mich näheren Umganges erwehre, mir zuweilen weiteres verbitte, ganz dezidiert und deutlich. Daß ich mit manchen spiele (aber auf eine erkennbare Art, nicht im Gemeinen), man nennt es Flirt, daß mich gelegentlich Aufmerksamkeiten amüsieren, zittrige Stimmen, vom Herzklopfen abgedrückt. Ich mich lustig mache über Zuzwinkern und inhaltliches Posieren, in dem man irgendwie die imponiergeschwellte Brust eines balzenden Vogels erkennt. Daß diese Zeilen vielleicht garstig klingen (so wären sie definitiv nicht gemeint). Daß ich mir ohnehin nur Personen erwähle, die mir unerreichbar bleiben und somit jede mir zugedachte Annäherung automatisch auf Zurückweisung stößt. Daß ich vielen Menschen – Männern – gar nicht die Chance gebe, sich mir zu zeigen in ihrem ganzen Sein, meine intellektuell-poetischen Ansprüche so hoch sind wie alpine Gipfel und ich auch einer gewissen körperlichen Attraktivität nicht abgeneigt bin, untertrieben formuliert (wo ich selbst ja gewiß nicht das Maß femininer Dinge bin…). In der Hauptsache aber tut es mir leid, daß ich mich eigentlich nie jemandem in meiner Wesenheit präsentiere, sondern immer nur einen Ausschnitt davon, adaptiert an das jeweilige Gegenüber. Ich glaube dir, du meinst, mich ansprechend zu finden; in Wirklichkeit fasziniert dich nur das Bild, das du dir selbst von mir machst. Du kennst mich nicht. Kein Mensch, nicht ein einziger, weiß, wer ich bin. Das ist auf Dauer unfaßbar anstrengend. Im Klang meiner Worte findest du mich, in der Umschreibung von Natur, Erlebnissen, Begebenheiten, in meinen Fotografien, meiner Wohnung, dem Garten. Meinen Freuden und Sorgen, Passionen, Entgrenzungen. Vielleicht bin ich nur ich im Text – und Texte lassen sich weder lieben, noch lieben sie.