282 Selbstgespräch, alkoholisiert

282 Selbstgespräch, alkoholisiert

München, September 2024.

Ich gebe es zu; neben mir perlt der Champagner, die Farbe anise-citron. Das satte Ploppen des Korkens hat die Stare nicht beeindruckt, sie schmatzen und trillieren, krächzen und plappern munter weiter. Die Terrassenbrüstung ist umstanden von keramischen und metallenen Gefäßen voller Begonien und Buntblätter, Strauchbasilikum, Hängeoregano, viel Lachsrosa und Softorange, sogar die Bäckchen der Zierapfelfrüchte, die den Bonsai opulent schmücken, fügen sich dem ein. Eine “Fairy” blüht fast ununterbrochen, eine Züchtung der Dreißiger, meine liebste Design- und Stilepoche, die ich gerne verherrliche.

Ich kann es nicht fein reden, es war kein schönes Jahr bisher, obschon die großen Katastrophen ausgeblieben sind. Der Kalender bezeugt die Inhaltslosigkeit, das Substanzlose, die Zwistigkeiten und Brüche, eine umfassende Wirkungslosigkeit meiner doch ziemlich erbärmlichen Person.

Ich hatte einer Umleitung zu folgen, die ich abzukürzen gedachte, es war dunkel um zweiundzwanzig Uhr fünfundvierzig, ich befuhr die Tankstelle, die in rötlichem Kunstlicht morbide hell erleuchtet dalag an einem späten Samstag. Es mutete ein wenig an wie eine Gemäldeszene Hoppers, irgendwie starr und statisch und überhöht; überall lungerten junge Menschen herum, zwar nicht einzeln, aber unleugbar vereinzelt. Sie standen und saßen vor und neben ihren Autos: sportliche Formen, Aufgetuntes, Frisiertes, und als Prunkstück ein anthrazitfarbener Camaro, der frisch poliert makellos glänzte im surreal warm-kalten Schein. Und ich beneidete diese Leute um ihre Coolness, um ihr ungezwungenes, loses Miteinander. Nie im Leben wäre es mir in den Sinn gekommen, mich mit meinem Sportwagen (den ich ja nicht einmal besitze) frühnachts auf einer Tankstelle zu versammeln, rauchend (ich hatte noch nie eine Zigarette am Mund), Alkopops nuckelnd. Ich mit meiner braven, angepaßten, gehorsamen Biederkeit – ich kannte es nicht anders. Ich war genauso spießig wie jene, die ich anprangere, Eltern, Freunde, Nachbarn. Ich beglückwünschte im Stillen diese Twens zu ihrer schlichten Unangepaßtheit, zur leisen Rebellion, die niemandem schadete.

Ich widere mich selbst an, wie ich da am gutbürgerlichen Garten hocke, als einzige Gesellschaft ein treu schnarchender Hund, und mit Chanel´schen Nightfall-Lippen am Champagnerglas nippe, während die Stare lärmen, als gäbe es kein Morgen.

So viel heiße Luft, so viele Kröten. Japanische Autoren lese ich, ja. Aber das mit der Nobelpreisliteratur war ein Schuß in den Ofen: ich startete mit Pearl S. Buck – meine Güte, solch eine banale, triviale, sprachlich mies verfaßte Schreiberei, das Frauenbild voller Klischees, der Inhalt so verdammt, Entschuldigung, dämlich. Ich ertrug es nicht länger, etwa bei der Hälfte mußte ich passen. Ich glaube, es gibt nichts, das ich langfristig in die Reihe kriege.

Und auch das mit dem Reisen; da sind noch tiefere Krisen als ein lähmendes, beschneidendes Umfeld, selbst wenn man eine Steigerung des Unerträglichen für ausgeschlossen gehalten hatte. Ich ersticke! Wirklich, morgens um halb zwei erwache ich schweißgebadt, nach Luft schnappend. Ich greife mir an die Kehle – da drückt doch jemand zu! Genau wie auf Füßlis Bild von der nächtlichen Mähre, die frech und fett auf der Brust der Schlafenden hockt. Ich muß hier raus, sonst krepiere ich! Ich stolperte über eine Vodoo-Reise – ausgebucht… Viele der interessanten Touren sind bereits bis 2026 voll, stellt man sich das vor?

Die Stare sind fort; die Stille nun plötzlich hat etwas Lauerndes.

Ich will nicht Spaß oder Fun oder Zerstreuung, kein Prestige oder Angeberei; ich will zurück zu dieser Faszination, Erhabenheit, zu dem Seelenbeben, wie ich es imstande war, vor zwei Dekaden zu empfinden. Was ist denn noch übrig von mir, so desillusioniert, wie ich es geworden bin? So aufgeklärt, abgeklärt, abgestumpft.

Einmal, zu Silvester, da stand ich am Fenster bei Freunden, von dort das dörfliche Feuerwerksspektakel betrachtend, und ich war zufrieden und ruhig, weil ich wußte, ein angebeteter Mann würde im Neuen Jahr mein Freund und Wegbegleiter. Ich wußte es, eine unumstößliche, feste, sichere Wahrheit. Ich werde es nie vergessen, dieses absolute Wissen. Und er hat mich nicht ein einziges Mal geküßt. Was ist das mit dem Wissen? Wer oder was verarscht mich da?

Die Begonien um mich herum, die Buntblätter und Kräuter, sind wunderschön; aber sie erdrücken mich, rauben mir den Atem, engen ein.

Ich sehnte mich nach Stille im Ort. Jetzt wo sie eingetreten ist, könnte ich weinen.

Ich wußte, daß unsere Freundschaft – obwohl wir von jeher völlig unterschiedlich gewesen waren in fast allem – für immer andauern würde, andauern, bis wir alt und runzlig und häßlich und dement geworden wären. Das war wie das Amen im Gebet. Sie war der einzige Mensch, für den ich nicht eine Millisekunde gezögert hatte, ein metallenes Schloß mit unseren Namen zu kaufen und mit ihr gemeinsam in einer feierlichen Zeremonie an das Brüstungsgeländer der Augsburger Mühlenbrücke zu heften, den Schlüssel im Bach versenkend. Für keinen Mann hätte ich das getan! Und doch, tatsächlich; in diesem kruden 2024 hat die Freundschaft geendet, nach dreiunddreißig Jahren. Ich war nicht einverstanden gewesen mit dem mehrseitigen, handschriftlichen Brief, welcher meine Verfehlungen der vergangenen achtzehn Monate aufgezählt hatte, es war folglich meine Schuld.

Heuer fand auch das fünfzehnjährige Jubiläum zum Todestag meiner Schwester statt, Pardon, verzerrend hochtrabend ausgedrückt. Kein Restaurantbesuch, keine Reden oder Gedenkfeier. Niemand, der anrief, eine Karte schickte, eine What´s App oder ein Bouquet, oder der sonstwie eine Art Mitgefühl aufkommen ließ. Völlig verlassen, vergessen blieb ich zurück an einem mehr als harten Tag, der mir ins Fleisch jagte wie früher die —

Ich fische eine Fruchtfliege aus dem zweiten Glas Champagner.

Ich weiß, daß ich mich rächen werde. Wehren!! Ich habe das nicht verdient: im Stich gelassen zu werden, kritisiert oder angeschrieen. Ich bin kein einfacher Mensch, unumwunden zugegeben! Aber ich werde nicht enden wie meine Großmutter, deren Schubladen ich neunzehn Jahre nach ihrem Tod geleert habe mit nichts angefüllt als porös gewordenen Schnüren, Stoffresten, Garnen, Plastikstreuern für Salz und Pfeffer, billigstem Tand, sorgsam und reinlichst verwahrt, ich hätte heulen können, wenn Tränen übrig gewesen wären dafür. Armes, armseliges Frauchen!! Nein, ich ordne mich nicht unter, ich lass mich nicht klein prügeln metaphorisch. Ich reise. Koste es, was es wolle! Ich muß hier raus.

Du hast mich nicht geküßt? Du zählst mir haarspaltend meine vermeintlichen Fehlverhalten auf? Du brüllst mich an, mich erniedrigend? Du verbreitest Unwahrheiten, lästerst über mich? – Mach ruhig. – Ich bin eine starke, kräftige, kluge Frau.

Es rief mich der Ullstein Verlag an, mein Herz – das mit der niedrigen Rate, vgl. Beitrag 281 – pulsierte bis zum Anschlag. Ich verbat mir jede Hoffnung. Zu Recht. Ich war nicht entdeckt worden, keiner wollte mich drucken. Kaufen sollte ich, ein Gartenheft-Abo. Ich lachte trocken über mein törichtes, weltfremdes Wesen, nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte.

Ich werde immer zu einer Kategorie gehören, die sich Lebensversager nennt. Ich werde es erhobenen Hauptes tun.

Ein Mann darf mich nicht a) langweilen, b) anschreien, c) über mich bestimmen, d) belügen, in dieser Reihenfolge.

Na, ja. Meistens gibt es um mich herum eh nur Hunde, Hühner, Begonien, zuweilen Füchse und Eichhörnchen. Puh, bayerische unbedeutende Ödnis.

Es war kein schönes Jahr soweit. Ich trete eine frühere Gewißheit mit Füßen: ich werde reisen. Und schreiben. Bis ich umfalle vor Champagnerbesoffenheit. Was weiß man schon.

Wolken ziehen zu, die Weide raschelt. Ein Baby greint, abstrakt und fern.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert