187 Grundstille
München, September 2021.
Ich stand im Buchladen – mein Laster… – vor einem Regal mit Ratgebern. Schreiben, Kreatives Schreiben, Romane schreiben, Schreibschule und dergleichen mehr, exakte Titel braucht man nicht zu nennen. Vor längerem war mir aufgefallen, daß mein Stil sich kaum verändert hat, seit ich regelmäßig und intensiv zum Stift greife bzw. in die Tastatur tippe, kaum Wandel also im Laufe der vergangenen zwei Dekaden hinsichtlich des Satzbaus, Textflusses, Vokabulars: kein sonderlich erhebendes Zeichen, wie ich fürchtete. Man sollte sich doch entwickeln, reifen, irgendwelche Stufen erklimmen, zeugt es nicht von Armut und Stagnation, wenn man seine eigenen Texte lediglich nach Inhalt datieren kann und nicht der Form, Gestaltung nach? Lernwillig griff ich zu dem einen oder anderen Sachbuch vor mir. Ein Großteil der Kapitel behandelte Vorschläge und Tipps darüber, was man schreiben könne. Verdutzt wie verunsichert runzelte ich die Stirn. Ich kann eigentlich über alles schreiben, absolut alles, mir stellt sich eher die Schweierigkeit des wann. Ich beziehe mich nicht unbedingt auf einen zeitlichen Rahmen, auf konkret verfügbare Stunden. Mir geht es da ähnlich wie mit dem Yoga oder Fotografie. Yoga soll gelassener machen, ruhiger, zentrierter, innerlich balancierter, was ich definitiv nicht abstreiten möchte. Wenn ich persönlich aber aufgbracht bin, in Rage, wovon auch immer tief gestreßt, aufgekratzt (auch etwa durch Freude, Euphorie), dann kann ich mich nicht auf die Matte setzen und eine Yoga-Session einlegen, unmöglich. Um mein geschätztes Yoga wirklich konzentriert und wirkungsvoll praktizieren zu können, muß mein Inneres bereit dafür sein, eine gewisse Grundstille vorherrschen. Oder nehmen wir das Fotografieren: freilich ist eine Digitalkamera schnell zur Hand, ein Bild rasant und leicht geknipst. Gelegentlich gehe ich so vor, zugegeben, wenn eine Rabatte gerade in voller Pracht steht im Garten und ein Foto eben jetzt verlangt wird, weil die Blüten anderntags bereits wieder angewelkt sein werden oder fleckig von einem nächtlichen Regenschauer. Aber eigentliches Fotografieren gelingt mir ausschließlich, wenn ich mich vorab gesammelt habe. Ich benötige diese Bereitschaft fern jeder Hektik, jeden Zwanges, damit ich etwas spüren oder hören kann oder eben sehen, etwas, das in mir drinnen liegt und äußerlich gespiegelt wird von einem Objekt, einer Szene, einem Geschmack, Gegenüber, Lied, Gebäude, einer Struktur. Die Ratgeber jenes Buchladens legten nahe, eine Zitrusfrucht en detail zu schildern oder den Blick aus dem Fenster morgens, sie erläuterten – für etliche Euro Entlohnung -, alles sei eines Themas würdig, einer Erzählung. Weitere Kapitel betonten den Effekt von Stilbrüchen, Adjektiven, Perspektiven, etc. Ich war irgendwie enttäuscht. Eine einst mit mir befreundete Journalistin hatte mich einmal gefragt, wie lange ich für solch einen Blogeintrag hier benötigte. Es komme auf die Länge an, antwortete ich ihr, zwanzig, dreißig Minuten, bei längeren Texten vierzig, bis die Flüchtigkeitsfehler getilgt seien, die sich so gerne überlesen? Aha, machte sie, und wie lange feilst du aus? Ausfeilen, entgegnete ich, nein, Ausfeilen tue ich nicht, der Text steht dann da. Mag sein, mir falle einiges später noch eine Wortwiederholung auf, ein Buchstabendreher, eine mißverständliche Formulierng — sie kniff den Mund zusammen und sprach nie wieder mit mir über das Schreiben…
Es gibt sogar Situationen, meist unterwegs auf Reisen, oft in stillen, leeren Gegenden, da rauscht ein Text vor meinem inneren Auge nur so herunter, eine Stimme, die die Worte diktiert. In solchen Momenten (die zuweilen eine Stunde andauern können), muß ich entweder sofort zur Notizkladde greifen oder aber die Sätze immer und wieder innerlich aufsagen, um sie nicht zu vergessen. Ganz extrem geschah dies auf Island und Grönland, Soqotra, im Oman, eigentlich überall dort, wo ich unter der Rubrik Vita der Homepage Fettdruck verwendet habe, um besonders produktive Touren (gemeint sein kann aber auch die Fotoausbeute) zu markieren. Vermißt habe ich bei den Ratgebern der diversen Schreibschulen und Autorentipps den Unterpunkt, wie man denn herausfinde, ob das, was man zu schildern habe, überhaupt Leser interessiere… Woher man erfährt, daß man potentielle Leser abholt, mitnimmt, die Neugier weckt, wie man preisgibt, ohne zu entblößen und Meinung kundtut, ohne zu kränken? Und wieder war es die Grande Dame, die es mich lehrte, die ein Vorbild stellte: Agatha Christie. Denn Agatha Christie schrieb einfach, wovon und wie es ihr gefiel, ohne Rücksichtnahme auf die Leserschaft. Ihr behagte es, was sie produzierte, und dem Publikum, für das sie schrieb, mußte es ebenfalls behagen. Alle anderen – Kritiker, Gelangweilte, Gleichgültige – waren ihr herzlich egal. Gleiches läßt sich von Vicki Baum und Elsa Schiaparelli sagen (ich beziehe mich jeweils auf die Autobiografien). Den Tipp, den ich mir also selbst geben kann: schreibe! Schreibe und sei glücklich. Und wenn du geschrieben hast, fotografierst du. Oder machst Yoga.