179 Ein paar Dollar
München, August 2021.
Für ein paar Dollar – umgerechnet 36 Euro inklusive Versand – erwarb ich via ebay im vergangenen Jahr eine originale Fotografie Alan Houghtons, der in den 1960ern eine bekannte Größe Hollywoods gewesen ist und heute wohl so gut wie vergessen. In seinem Atelier auf Hawai experimentierte er mit Sepiatönen während der eigenhändigen analogen Entwicklung. Auf meinem Bild äst eine pralle weiße Stute eine Brennesselwiese ab, neben sich eine sinnlich-porzellanartige Dame, die mit hübsch eingedrehter Lockenfrisur aber ansonsten nackt ebenfalls in gebückter Haltung dabei ist, etwas zu pflücken. Im Hintergrund erkennt man vage steinerne Ruinen und ein Feigenblattdickicht; der Lichteinfall ist derart geschickt gewählt, daß sich Pferd und Frau verblüffend ähneln – in Zeiten des Gendertender und überempfindlichen Feminismus höre ich an dieser Stelle einen gellenden Aufschrei des empörten Protestes. Ich vollziehe den Blick des Fotografen auf beide Figuren nach als äußerst liebevoll und respektierend, es ist das Spiel aus Textur und Schattenzeichnung, das ihn offensichtlich bewegt – und die Huldigung zweier hübscher, in ihr Tun versunkener Wesen ohne hierarchische Wertung. Wieso muß ich mich rechtfertigen?
Jedenfalls trudelte aus den USA der Abzug in eine Kartonrolle verpackt bei mir ein – er war brachial hineingequetscht worden, die Kanten angeknickt, und steckte nun fest. Das Bild befand sich offensichtlich in miserablem Zustand, ich erkannte Schimmelspuren und lose Pigmente… Es erregte mein Mitleid, das kleine Kunstwerk. Sollte es zeitlich und räumlich so weit gereist sein, um jetzt von mir zerstört und aufgegeben zu werden? 36 Euro sind ja kein Geld… Natürlich brachte ich die Rolle zu einer Expertin, eine Papierrestauratorin, die zufälligerweise ihre Werkstatt im selben Gebäude eingerichtet hatte, in welchem ich semesterlang recherchierte für das Studium, nämlich im Zentralinstitut für Kunstgeschichte München (Exkurs: mein gesamtes Leben besteht immerzu aus teils bizarr-wahnwitzigen Zufällen, mein Bekanntenkreis schmunzelt aufs herrlichste darüber; ich war einmal in einen Mann verliebt gewesen, als ich in einer Reportage, die die Zustände der brasilianischen Favelas abhandelte, über den mir bis dato unbekannnten Mädchennamen Luana – betont wird das erste a – stolperte, der mir damals außerordentlich zusagte. Kurz darauf heiratete dieser Mann, zeugte eine Tochter und nannte sie Luana. Kein weiterer Kommentar). Die Restauratorin jedenfalls beeindruckte mich mit ihrem chemisch-physikalischen Wissen, ihrer Leidenshaft für die Rettung von Papierkunst (keine historischen Bücher bzw. Schriften), ihrer sachlichen Kompetenz, und daß sie gerade an einem Baselitz arbeite, erwähnte sie nebenbei. Wow! In den nächsten Wochen fummelte sie den Abzug aus der Rolle, stabilisierte und glättete ihn, ersetzte eine zerfressene Ecke, eleminierte den Schimmel auf der Rückseite, fixierte die abgängigen Pigmente und erledigte zwei Retuschen im Hintergrund. Die Fotografie sah großartig aus! Ganz billig war sie mittlerweile nicht mehr… “Sie sollten sie unbedingt fachmännisch rahmen lassen. Nicht daß der Säuregrad des Passepartouts es doch noch mit der Zeit angreift!” Freilich erklärte sie mir das mit allerlei komplizierten Termini. Aha. Murrer sei empfehlenswert, allerdings nehme der es von den Lebenden. Sie lachte schallend. Ich ging zu Murrer (der sich jüngst dadurch verdient gemacht hat, daß er die Rahmen etlicher Ernst Ludwig Kirchner – Gemälde nach des Künstlers eigenen Vorstellungen wiederherstellte), wo man mich formidabel beriet und horrend abkassierte.
Houghtons Akt-Pferd-Portrait hängt nun sorgfältig aufbereitet, geschützt und präsentiert im nüchternen Flur. Ob es je einer meiner Besucher einmal betrachtet hat? Ich bezweifle es. Mir jedoch zaubert es regelmäßig ein Lächeln auf die Lippen. Es hat mich zu Menschen geführt, Berufen und Arbeitsstätten, die ich sonst nie kennengelernt hätte. Ob es sich finanziell gelohnt hat, quasi als Investition? Eher nicht. Würde ich es erneut tun? Hundertprozentig! Wir müssen Altes und Schönes bewahren, das “Ab-in-die-Tonne – es-ist-mir-lästig- und-bringt-kein-Geld – Prinzip” beraubt uns letztlich unserer Identität.
Ach, Pamono bescherte mir unlängst ein Schnäppchen: ein niedriger, zierlicher spanischer Damensalonsessel anno 1830 mit geschnitzen Schwanenköpfen als Lehnen, verblüffend preiswert. Gut, der Stoff ist stark fleckig, der Sitzkomfort fürchterlich und eine Nackenstütze sowie kuschelige Kissen fehlen auch, aber das alles ist ja nichts, was eine gescheite Polsterei nicht beheben könnte… Ich entschied mich für seladonfarbenen Samt und abstrahierten smaragdgrünen Leoprint. Bald kann ich das Stück abholen! Sollte ich tatsächlich irrationale Wege einschlagen? Meine Vernunft, die habe ich gründlich satt. Der Kunst bekommt es.
Illustration unter Verwendung der Houghton Fotografie (Ausschnitt)