144 Eine Doku im Fernsehen

144 Eine Doku im Fernsehen

München, September 2020.

Die reine Lust am Erzählen spricht aus Agatha Christies über 600 Seiten starker Autobiographie, die trotz des Umfangs mehr als lückenhaft bleibt – der Leser ist ihr herzlich egal, sie schreibt: wovon sie möchte, so lang oder kurz sie es will, mal chronologisch, dann völlig durcheinander, ganz ohne Zaudern, ohne jede Selbstzensur; ich sollte mir ein Beispiel nehmen daran.

Schon Wochen zuvor in meinem sauberen, langweiligen Hotelzimmer in Andorra öffnete ich abends die What´s App-Nachricht meiner Freundin aus Kindergartenzeiten (in Kürze begehen wir unsere 30-jährige Bekanntschaft mit einer Flasche Champagner nur für uns beide allein), daß eine Doku laufen werde im Abendprogramm. Und gestern, weil sie wußte, ich kuckte diese nicht an, meinte sie noch nachdrücklich, der Film sei wirklich interessant.

Mein Versprechen habe ich gegeben und halte es ein.

Wahrscheinlich mehrfach übertrat ich eine Grenze, die zu ignorieren mir nicht zustand. Doch mit einem Brief vor zwei oder drei Jahren, dem letzten, nahm ich die Hürde des guten Geschmacks und begab mich in den Graubereich grober Belästigung, was ich herzlich bereue.

Man kann über Liebe philosophieren, der Einfachheit halber behaupte ich: ich war es, war es sehr, verliebt, obwohl ich den Menschen gar nie richtig kennengelernt habe. Man liebt und wird zurückgeliebt oder eben nicht (in meinem Fall letzteres), so ist es, war es stets gewesen, eine simple Gleichung.

In meiner Verbohrtheit wollte ich nicht locker lassen; Verzweiflung, Sturheit, blinder Romantizismus, Hormonüberschuß, Naivität?

Und obwohl die Kontaktdaten seiner Homepage gelöscht waren, wandte ich mich per Umweg an einen seiner Kollegen und Spezl, ebenfalls öffentlich tätig, und sandte ihm meine Zeilen, authentisch, intim, mit Bitte um Weiterleitung, ungefragt, ungebeten, wie ein Stalker.

Gestern war nicht mein Tag: ich verlor meine randlose, 7 Gramm leichte Brille in einem Uferdickicht (Adieu!), Montana Banana wurde vom Nachbarshund in Schnauze und Auge blutig gebissen, das heftig erwogene Gebrauchtauto in flippiger Sonderfarbe hat sich ein anderer geschnappt, mehrere Herbstveranstaltungen, auf die ich mich unermeßlich gefreut hatte, wurden abermals abgesagt etc.

Ich habe den Tauchschein nie gemacht. Das Meer heuer nicht gesehen.

Ein Fotocoach schmeichelte mir, die Fotografien eines bestimmten Projektes wiesen Ähnlichkeit mit den Arbeiten Peter Witkins auf. “Deine Bilder gehören an die Wand!” In der letzten Stunde des mehrmonatigen Privtseminars kuckte er mich dann nachdenklich an. “Ich weiß eigentlich gar nicht, ob Fotografie dein Medium ist.”

Ich habe mir die beiden abendfüllenden Reportagen nicht angesehen, mein Versprechen gehalten, dich in Frieden zu lassen in jeder möglichen Form. Du wirst dich gar nicht mehr erinnern, und wenn doch, so nicht in angenehmer Weise. Ich finde es schön, wenn Menschen ihren Weg finden und ihn auch gehen, entschlossen, erfolgreich, glücklich.

Vor acht Jahren, da traf ich zufällig einmal einen, dessen Stimme ich mochte und dessen Straightness. Er nannte meinen Namen im Diminutiv; ich hockte im Van auf dem Beifahrersitz, Muscheln und Schnecken auf dem Armaturenbrett studierend. Still sah ich aus dem Fenster, wo üppige, grüne, neonfarbene, triefnasse Vegetation sich vom grimmenden, wolkenschweren Himmel abhob. Ich war niemand, ich war jemand, war unbeliebt in der Gruppe (wie meist), war diejenige, die den Delphinen, die sich nicht zeigen wollten, improvisierte Lieder vorsang. Ich war die Bekloppte, die Betrunkene, die Traurige, die Unsinn schwafelte oder schwieg, die banales fotografierte (statt spektakulärer Tiersichtungen), und ich war so etwas von am Leben, mehr Leben geht gar nicht.

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