139 Fragmente
Israel, März 2017.
Obwohl sie schön waren, man liebe Menschen kennengelernt hat und sie gar nicht lange zurückliegen, gibt es Reisen, an die ich mich bloß sehr lückenhaft erinnere. Israel ist eine davon.
Dieses Land ist für mich nicht so stark mit Emotion besetzt, wie für viele tief Gläubige, und doch fand ich es wichtig, es als Christin einmal zu bereisen (insbesondere weil ich bereits mehrfach die “Gegenseite” Jordanien besucht hatte), auf den Spuren sehnsuchtsvoller Pilger der Kunstgeschichte – etwa die Präraffaeliten – zu wandeln, einen kleinen, persönlichen Eindruck zu gewinnen von dort, auch politisch, und tatsächlich habe ich durch meine kurze Anwesenheit erst begriffen, wie komplex die Verflechtung von unterschiedlichsten Religionen, Ethnien, Minderheiten ist; man vermittelt uns gerne den simplen Dualismus Israeli – Palästinenser, und plötzlich merkte ich: es gibt “arabische Christen” (ganz wichtig war dies dem Besitzer der Seifensiederei gewesen, die wir besichtigt hatten) und “Drusen” (die uns herrliche Wildgemüse und -kräuter sevierten, extra für uns gesammelt), und “Orthodoxe” neben “nicht-orthodoxen Juden”, ein völlig heterogenes, verwirrendes Konglomerat. Auch schaute ich von den Golanhöhen auf Syrien, so oft in den Nachrichten, reduziert auf die Begriffe “Krieg” und “Flüchtlingsstrom”, und nun real ausgebreitet in der Ferne.
Es sind eher Splitter, die ich im Gedächtnis verwahre von dieser Tour. Blühende, helle Wolken: die Mandelbäume Jerusalems, und natürlich die Ölbäume der ehrwürdigen Stadt, knorrig, alt – von Touristen umschwärmt wie ein in Aufruhr versetztes Wespennest, welche Hektik, welche Betriebsamkeit an einem als heilig geltenden Ort… Die Massen an pinken Alpenveilchen zwischen den Felsbrocken, die hohen, gelben Wolfsmilchgewächste, die Steineichen und Ginsterbüsche. Nelken ohne Ende, einen prächtigen Frühling, satt, üppig, verschwenderisch, hatten wir erwischt, unsere Führerin, eine Biologin, war ganz außer sich vor Freude. Die Negev-Wüste, karg aber bunt durchzogen von Adern in Purpur, Violett, Rot, Bernstein, oder komplette Züge einfach rein weiß und sanft erodiert. Eine Schlucht voll mannshohen Schilfes, es quakten die Frösche verhalten dazwischen. Eine unterirdische Quelle in einem Steintal, in Arbien bekannt als Wadi, lud zum Bad im Naturbecken ein – sofern man die neun Grad Celsius Wassertemperatur denn ertrug… Das nächtliche Heulen der Schakale, tagsüber die ziehenden Vogelschwärme, Kraniche, Störche; blutrote Anemonen auf den Wiesen, vom Menschen in den Berg gehauene Wohnhöhlen, längst verlassen; Mädchen, die lachend an Schulausflügen teilnahmen, normale, lustige Teenagerinnen, die Maschinengewehre geschultert trugen. Ein Krebslein, das unser Guide in einem Bachlauf aufgespürt hatte, mit den Scheren protestierend, als es herumgereicht wurde zur Inspektion. Äsende Eselherden, stolzierende Pfauen. In einem prächtig bemalten griechisch(!)-orthodoxen Kirchlein fotografierte ich die abbrennenden, schlanken Wachskerzen, die ein geheimnisvoll orange-glimmendes Licht warfen, und ein Amerikaner, der mir über die Schulter gekuckt hatte, unbemerkt, meinte, ich besäße “an eye for beauty”. In Genezareth genoß ich das Glitzern der Millionen Sonnenkleckse auf dem See, sowie die Stille und Ruhe, die der Platz absonderte, man wurde unvermittelt innerlich leise; an einer Sehenswürdigkeit entdeckte ich einen Mann in seinen 60ern, der einen langen, dicken, geflochtenen Zopf trug, er fiel ihm silbrig-blau (blau, nicht grau!) schimmernd wie kostbarste Seide über den Rücken. Drei, vier Gazellen, die Hufe klonkend auf dem Sandstein, eine davon imposant gehörnt, ganz nah, während wir durch die Berge wanderten. Ein Jüngling, der uns in einer Schlucht entgegenkam, das Abitur frisch in der Tasche, ohne Plan für sein weiteres Leben, ein Deutscher, der alleine den kompletten Israel Trail beging; wir laden ihn zum mitgebrachten Mittagsmahl ein – es stellt sich heraus, eine Tourteilnehmerin kennt dessen Eltern… Ein zum Knuddeln niedlicher Klippschliefer, der geduldig Modell spielte für meine Kamera. Ein Brotverkäufer, sein Stand ein uralter, roh gezimmerter, umgewidmeter Holzhänger – sind dies die Dinge, an die man sich über Isael, so aufgeladen mit Sterotypen, Gefühlen, Konflikten, Widersprüchen, erinnern sollte?
Wir befanden uns in der Altstadt mit Blick auf die Klagemauer. Schon zuvor hatten wir neugierig die elegant gekleideten, dunkelhäutigen Herren beobachtet, für die kurz die Männerseite (die Klagemauer darf nur getrennt in weiblich – rechte Hälfte – und männlich – linke Hälfte – aufgesucht werden) gesperrt worden war, damit sie sich dort exklusiv in geschlossenem Kreise aufhalten konnten. Begleitet wurden sie von einer Schar ebenfalls schick gewandeter, weißer Personen, allesamt umkesselt von Leuten in Militärtracht. Als die Versammlung, sich ein wenig auflösend, sich mehr in unsere Nähe verlagerte, wagte eine Frau aus unserer Gruppe es, einen der Dunkelhäutigen – perfekt sitzender Maßanzug, persilreines Hemd, makellos gebundene Krawatte – anzusprechen.
Er antwortete höflich: “We are a delegation of Sambia with the president.”
“Oh.” erwiderte sie ohne jegliches Nachdenken. “And we are a delegation of Germany, but without the president.”
Der Mann kuckte verblüfft, um dann in unser spontanes Gelächter, ziemlich unpassend im direkten Umkreis der Klagemauer, einzustimmen. Die Militärs trommelten mit den Fingern nervös auf ihren Waffen herum. Die Gesandten aber – echte wie unechte – erheiterten sich noch eine ganze Weile.