123 Blog Wiederaufnahme
München, Januar 2020.
Ich weiß nicht, ob man Gott dazu sagt, Schicksal oder Leben. Ich nannte es einfach Du, als ich meinen Kopf an der Badezimmertür lehnend zu ihm sprach, ohne eine Antwort zu erwarten. Ich fragte es, weshalb es mir Menschen vorbeischicke, nur um sie mir sogleich zu nehmen. Ich fragte es, was es vorhabe mit mir und welche Fehler ich beginge, daß es mir die Menschen entziehe, denn ausschließlich wer den Fehler versteht, kann sich verändern. Ich halte mich nicht für fehlerlos, im Gegenteil, aber es muß da einen blinden Fleck geben.
Ich wußte gar nicht mehr, daß es ein Herz in meiner Brust gibt, ein Herz, das schlagen kann über den physiologischen Vorgang hinaus, das vertraut, Geborgenheit empfindet, in sich selbst ruhend Kraft schöpft, Freude und Neugier kennt. Eines, das in tausende Partikel zerstiebt, nicht mehr brechend, denn zu Brechen war nichts übrig geblieben, aber doch pulverisiert, sich in alle Winde zerstreuend, vorauseilend zum walisischen Küstenpfad später in ein paar Monaten. Dort werde ich es wieder einsammeln, auffegen und neu modellieren, zusammen mit den Klippen, der Gischt und den Seevögeln, die mir helfen werden, ein großes Ganzes zu sehen, wo jetzt traurige Ratlosigkeit und Bedauern vorherrschen.
Und inmitten meines Kummers frage ich mich, ob ich jemandem weh getan habe, ihn bestürzt, verärgert, irritiert; ob es denn mein blinder Fleck war oder der seine.
Ich stehe oft genug vor einem Grabstein – tatsächlich wie symbolisch – um zu wissen, daß es Wahrheiten oder vielmehr Gegebenheiten gibt, die unumstößlich bleiben, indiskutabel, nicht verhandelbar, nie mehr umkehrbar, daß manchmal Wille oder Wunsch allein nichts bewirkt.
Ich möchte Liebe – welch großes, dramatisches Wort aus dem Mund einer törichten Närrin – nicht verhandeln müssen. Trotzdem bin ich dankbar, sehr sogar.
Am steinernen Brückengelände stand ich, während die Dohlen tschackend durch die sonnenmilde Luft jagten und unter mir junge Mütter mit ihren Kleinkindern Brotkrümel in die grün blinkende Isar warfen, die Enten anlockend. Ich berührte die Schlösser am Geländer, einige frisch aufglänzend, andere rostbekleidet, große Schlösser und kleine, rosa, blaue, gelbe, rote, gravierte und handschriftlich verzierte, Schlösser über Schlösser, kühl und glatt unter meinen Fingerkuppen. Jedes Namenpaar eine Geschichte – welche?
Ich setzte meinen Weg fort. Ich weiß nicht, ob man Gott dazu sagt, Schicksal oder Leben.
Eine Antwort
Ja, schreib weiter! Mir gefallen Deine Schilderungen, sie führen von den vielen Eindrücken hier oder in fernen Ländern in Deine Gedankenwelt, manchmal bleibt ein Geheimnis, aber oft entstehen Szenen lebhaft vor Augen: wie Du fremde Kulturen, andere Länder, Landschaften und Menschen erlebt hast, was sie ausgelöst haben, Deine Resonanz.
Auch dass ein Foto, ein besonderes Motiv, die Texte einleitet, finde ich gut. Wie überhaupt Deine Fotos, die in Farben und Formen die außergewöhnlichen Landschaften, die Du bereist hast, ahnen lassen, ja einfangen!