81, Teil V: Eine Ankündigung, die unbemerkt blieb

81, Teil V: Eine Ankündigung, die unbemerkt blieb

Südamerika, Mai bis Juli 2009.

Das Ende kündigte sich mir an, ohne daß ich es bemerken konnte. Das machte im Nachhinein die Bitterkeit aus.

Ich ging zum Frühstück, nahm Platz wie jeden Morgen. Der Fernseher lief, ebenfalls üblich in Lateinamerika. Man servierte mir frisch zubereiteten Papayasaft, Bananen, Rühreier, zwei kleine Weizenfladen, etwas Butter und synthetisch schmeckende Erdbeermarmelade. Die Bedienung stellte dazu eine Kanne heißen Wassers auf den Tisch; man entschied sich entweder für die Cocablätter, die eigenhändig zu einem krautig – wohl mundenden, leicht prickelnden Tee aufgebrüht wurden, oder aber für das kleine Metallgefäß, in dem sich schwärzester Sud befand – Kaffee-Extrakt, den es noch aufzugießen galt. Dieses Frühstück erhielt ich jeden einzelnen Tag, neun Wochen lang, sei es in Bolivien, Peru oder Ecuador. An Papayas und Bananen konnte ich mich nicht satt essen, doch auf Reis (Hauptbestandteil der Mittags- und Abendmahlzeiten) und Eier verzichtete ich anschließend fast zwei Jahre lang, so sehr ekelte mich diese „Diät“. Alles war also wie immer, auch der omnipräsente, überlaut laufende Fernseher.

Man brachte gerade eine Dokumentation über Michael Jackson.

„Ich wußte gar nicht, daß es spanischsprachiges BBC gibt.“  schoß es mir zerstreut durch den Kopf, während ich meine kommenden Unternehmungen ausklamüsterte, der Reiseführer vor mir bereits mit Textmarkern grell bunt bearbeitet, spielte neue Pläne durch, checkte Abfahrtszeiten der Busse, schmauste gemächlich weiter, und noch immer war der Bericht über Michael Jackson nicht vorüber.

Ich starrte auf den Bildschirm. Ich tat es eine Weile, ohne es wahrzunehmen.

„Was ist das denn?“ Ich beugte mich vor. Den Beitrag begleitete fortwährend ein Untertitel, der da lautete: Michael Jackson, 1959-2009.

„Wieso denn 2009?“ fragte ich mich völlig verwirrt, da ich noch nicht begriffen hatte.

Meine Schwester verehrte den King of Pop glühend, solange ich denken kann. Ich bin mit Michael Jacksons Musikvideos aufgewachsen, weil sie sie ständig anschaute; sie konnte seinen Moonwalk verblüffend perfekt imitieren. Anzunehmen, daß sein Tod ihrer Krankheit die letzten Schranken niedergerissen hat, die zwischen normal und krank gestanden waren.

 

Ein weiterer Nationalpark Ecuadors, nun Cajas. Ein Schritt – eine andere Welt. Der Pfad wand sich leicht abwärts, Stämme überall, Stämme gewachsen wie Astgewirr, die Rinde rötlich-braun, sich schälend und Papierfetzen gleich herabhängend; große schlanke erstarrte Schlangenkörper aus Holz, vor Ewigkeiten verzaubert, die langen Flechten, Spinnengeweben ähnelnd, vom hohen Alter zeugend. Kaum Blattwerk, doch zu Boden ein hügeliger Teppich aus leuchtend grünen Moosen und Farnen. Die Luft feucht, kühl, grau, das Gestein der Felswände ringsum lose und bröckelig. Eine Stille wie gnädige Absolution, nur der Rhythmus des tröpfelnden Regens durchperlte sie… Ja, in der Tat, ein Zauberwald, 200 Jahre alt, ein Schatz in sich selbst verborgen, Sumpf, Seen, Páramo, balsamartige Einsamkeit, ein Hauch von Wildnis. Draußen vor dem Wald, ohne Schutz der Äste, eine Regenwand, die Wege schwarzer Schlamm, Pfützen, Lachen, über den Bergen Wolken, undurchdringlich, schwer. So viele fremde kleine Pflanzen, dazwischen Puya Raimondi, endemisch. Es gab Polsterwuchs unnachgiebig und hart wie Beton, es gab lustige, sich nie öffnende Blüten in Gelb und Rot, deren Muster ihnen das Aussehen eines Campina-Erdbeer-Bonbons verlieh.

 

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