62 Kultur der Zufriedenheit
München, Januar 2019.
Der Duft von Hyazinthen macht mich glücklich jetzt gerade.
Es beglückt mich vieles: Einaudis Hidden Source. Ein zitronen-goldenes Licht über den Schneefeldern, sanft und unwirklich, wie sie arkadische Landschaften eines Poussin oder Lorrain zeigen, gemalt vor drei Jahrhunderten. Der Elchgeweihfarn, groß und prächtig, der in einer Ampel an der ehemaligen TRX-Aufhängung angebracht ist und mich so statt an einst exzessiv getriebenen Sport (einhergehend mit einer muskulöseren, wehmütig betrauerten Statur) an Studententage erinnert, die ich gerne im dampfigen, chlorophyllsatten Gewächshaus des Botanischen Gartens verbracht hatte, über all die in der Flora existierenden Wunder in Form und Farbe staunend. Ein neues Arrangement in meiner Wohnung, eine andere Wandfarbe, ein jüngst erworbenes Kunstwerk, günstig online erstöbert auf Flohmarktplattformen. Ein Stück Mohn-Apfelkuchen oder frische Haselnußkekse mit Kaffeecreme, selbst gebacken. Diese Dinge und unzählige mehr erfüllen mich mit Glück, mit Freude, Dankbarkeit. Ich las über die Notwendigkeit, eine „Kultur der Zufriedenheit“ zu pflegen, gesamtgesellschaftlich wie individuell, was einigen Eindruck in mir hinterlassen hat, ebenso wie der Rat einer weisen, älteren Dame, die zitiert wird in John Izzos Die fünf Geheimnisse, die Sie entdecken sollten, bevor Sie sterben, Seite 226:
„Spring mit beiden Füßen ins Wasser, kremple die Ärmel hoch und mach dich schmutzig, trau dich zu leben, zu lieben und in Kontakt zu gehen.“
Ich bin gelassener geworden während des vergangenen Jahres, emotional ruhiger, zuversichtlicher. Yoga hat mich verändert, dieser Blog. Eine meiner Abenteuer-Foto-Heldinnen ist Mutter geworden, doch statt des üblichen brennenden Neids verspürte ich bloß leichtes Mitgefühl für den sieben Monate alten Säugling, der sich in bereits 21 Ländern aufgehalten hat, wie ein Rundschreiben stolz verkündete. Es duften die Hyazinthen meerblau in meine Seele hinein, zusammenfließend mit Einaudis betörendem Spiel, Again. Aus jeder Reise kehrt man verwandelt zurück, jedes aufgenommene Foto formt seinen Stil, jeder Text bringt einen näher heran an das sinnvolle Ganze, das wir alle zu erlangen ersuchen irgendwie. Manche Touren, manche Landschaften oder Begegnungen prägen einen stärker, ohne daß es objektiv zu ermittelnde Ursachen zu nennen gäbe, und ganz selten stellen sie einen biographischen Meilenstein dar, ohne daß es von irgendjemandem bemerkt würde als von einem selbst. Ich ertappe mich dabei, muß mir die Wahrheit eingestehen, daß dieser Blog in gewisser Hinsicht ein Dialog ist, gerichtet an eine einzelne, bestimmte Person; ich erzähle von mir und frage nach dir. Ist das schwärmerisch-verkitschte Poesie, hoffnungslose Romantik (wie sie Daliah Lavi in einem ihrer Lieder proklammiert) oder schon krankhaftes Nicht-Loslassen, immaterielles Stalking? Ich schmunzle.
München, November 2017.
Ich war zufrieden mit dem Ergebnis. Die Wand leuchtete in sattem Blau, ein Ton wie die Faber Castell Tinte namens Deep Sea Green. Über dem Bett – nur dort – hing in vier Bahnen eine Tapete mit dem Motiv einer semi-abstrakten Illustration eines Tangwaldes, durch den Laternenfische schwimmen (Cole & Son). Meinen Ozean, seine geheimnisvollen, unerreichbaren Tiefen mit all seinen Wundern und Abenteuern, hatte ich mir kurzerhand ins Schlafzimmer geholt, um jede Nacht im Schlaf auf Unterwasser-Expedition gehen zu können.
Besser als Bali! Nun gut. Sagen wir: anders schön.