57 Fang mich doch
Galápagos, Juli 2009.
Die Gruppe stürzte sich auf den Seelöwen. Man hatte uns erzählt, wir könnten im Wasser mit den Tieren „spielen“, was immer das heißen mochte. Ich liebe es, mit anderen Geschöpfen – nichtmenschlichen Wesen – in Kontakt zu treten, eine Beziehung herzustellen, und sei es für Sekunden, Minuten, wenngleich ich nie eine solch besondere Freundschaft habe aufbauen können wie etwa Audun Rikardsen zu dem Walroß, eine anrührende, Seelen wärmende Geschichte, die mir die Tränen in die Augen trieb und Gänsehaut bereitete, als er sie uns während des Foto-Workshops in Grönland Jahre später erzählte. Jedenfalls hatte ich mich auf das „Spielen“ mit Seelöwen gefreut, aber als ich sah, wie sieben Leute um das Tier buhlten, sich ihm aufdrängten, es belästigten, beschloß ich, weiter abseits zu schnorcheln, mich mit den Korallen und Fischen und Seesternen begnügend – bunte, lebendige Formationen voller Schönheit, Anmut, Frieden.
Ein Wasserstrom traf mich seitlich. Ich wandte mich um, konnte nichts ausmachen, denn die Ursache war verschwunden wie ein Blitz. – Kehrte allerdings wieder. Ganz kurz nur erhaschte ich einen Blick auf den Seelöwen, ehe er erneut davon huschte. Die Szene wiederholte sich drei, vier Mal, bis ich diesen Ausdruck im Gesicht des Tieres wahrnahm. Ich schwöre es, ich erkannte anhand der Mimik, daß der Seelöwe mich aufforderte, so wie mein Hund es tut, damit ich ihm den Stock werfe. Aber unter Wasser ließ es sich schwerlich apportieren? Ich folgte dem Seelöwen kurz, doch freilich war er viel geschickter und schneller als ich plumpes Menschending (obwohl ich dank Schwimmverein gut ausgebildet bin). Ich wandte mich ab, um mich abermals den Korallen zu widmen. Da zog er eine blitzartige Schleife und war wieder bei mir.
„Fangen?“ fragte ich stumm, völlig erstaunt. „Wir spielen Fangen?“
Und so kam es. Ich tobte mich mit einem Seelöwen beim Unterwasserfangsti aus, eines der großartigsten, erfüllendsten Ereignisse meines Lebens. Als ich müde wurde irgendwann von der Anstrengung, schob der Seelöwe sein Gesicht nochmals vor meine Taucherbrille, mich direkt anvisierend. Aus einem Impuls heraus ließ ich etwas Sauerstoff aufsteigen aus meinem Mund, wabernde, silbrige Blasen, die zur Oberfläche tänzelten. Das Tier kuckte mich kurz an, wie sinnend, um gleich darauf Quecksilberkugeln aus den Nasenlöchern blubbern zu lassen. Ich glaube, ich spreche für uns beide, wenn ich sage: wir waren sehr, sehr glücklich zusammen in diesem Moment. Ich empfand pure, reine Freude, unbeschreiblich, unerklärlich. Wir verstanden einander, Seelöwe, Menschenfrau, Gefährten für eine halbe Stunde über alle Artgrenzen hinweg.