88 Verbundenheit
München, Juni 2019.
In meinem Kopf führe ich oft Gespräche mit abwesenden Personen, meist solche, die ich bloß flüchtig gekannt habe und die mich doch stark prägten, emotional, seelisch-geistig. Ich schicke ihnen die Bilder, die meine Augen wahrnehmen, sende ihnen Düfte, Farben, Geräusche, Motive, erzähle von meinen Assoziationen, Ideen, Gefühlswirbeln. Ich lächle und weine zugleich, bin dankbar und trotzdem zerrissen von Sehnsucht. Ich leiste nichts außergewöhnliches, absolviere keinen Iron Man, trainiere nicht ehrgeizig wie eine Audrey Mestre, um in die tiefsten Tiefen vorzustoßen, beherrsche nichts zur Perfektion, das Fotografieren nicht und das Schreiben nicht und auch nicht das Interior Design, meine aktuelle Passion, mein momentanes Streben und kreatives Ausleben. Aber egal, wohin mich die Reisen führen, nach Soqotra, Sri Lanka, Irland, Grönland, stets gestaltet sich ein Dialog hinter meiner Stirn, schicke ich Schwingungen hinaus in die Welt, plappere ich stumm vor mich hin. Auch wenn es noch keine USB-Sticks gibt, um geschwind, unkompliziert sein Gehirn, sein Persönlichstes, Wahres mit anderen zu vernetzen, also das zu zeigen, was sich bisher nur indirekt erschließt von einem Menschen durch Nachfragen und Teilen von Zeit und Gemeinsamkeit, glaube ich doch irgendwie daran, daß es eine Form von immaterieller oder feinstofflicher Konnektivität gibt, die weder an Zeit, noch an Raum gebunden ist.
Marokko, Juni 2013.
13. Juni, auf 1500 Metern, nicht sonderlich hoch also. Mein Herz schlug bis zum Hals. Ich hörte die Kröten penetrant wie nervenaufreibend im feuchten Gebüsch versteckt quaken, es war hell, zu hell, die Sterne spendeten enormes Licht, das durch die grüne Zeltmembran drang: fast glaubte ich mich in das Innere eines Uranglases oder fluoreszierenden Minerals gesperrt wie ein Dschinn. Mir ging es schlecht, die Gedanken rasten mit dem Puls um die Wette, ich schwitzte, obwohl es kalt war. Ich zwang mich immer wieder zur Ruhe, mich im Schlafsack herumwälzend. Ich beschloß, die Bergtour den Jebel Toubkal hinauf abzubrechen, mich anderntags zurückbringen zu lassen nach Marrakesch. Wie im Fieberwahn schob sich mir immer wieder das Gesicht Hans Hass´ in mein Blickfeld, ein großes Idol, bewundert, glühend verehrt, Biologe, Tauchpionier, Preis gekrönter Filmemacher.
Am nächsten Morgen – ich hatte kein Auge zugetan, es war eine meiner schrecklichsten Nächte überhaupt gewesen – überredete man mich, weiter anzusteigen, obwohl ich unterwegs einen Puls von über 190 hatte, wie ein anwesender Arzt maß (ohne es mir zu sagen damals). Nie zuvor war ich höhenkrank gewesen.
Nach der mehrtägigen Tour telefonierte ich von Marrakesch aus nach Hause, um mich kurz zu melden.
„Hans Hass ist gestorben,“ berichtete mein Vater. „am 13. Juni.“