69, Teil II: Sonderbehandlung
Oman, Februar 2011.
Die Berge hatten sich bereits schlafen gelegt – wo sie doch zwei, drei Minuten zuvor noch herrlich kupfern in der Abendsonne glühten. Grillen zirpten ihr spätes Konzert, leise hörte ich metallene, idyllische Vogelrufe in Wellen meine Seele erreichen. Selbst das Knirschen der gelegentlich Vorbeiwandelnden barg etwas friedliches in sich. Es kühlte ab, der Tag verabschiedete sich allmählich. Unerfahren, wie ich im Campen damals war, hatte ich als einzige mein Zelt noch nicht aufgestellt. Zudem zog ich schlicht ein intensives Erleben der einziehenden Dämmerung in die einsame und mir unvertraute Region einem Versuch des Zeltaufbaus vor, welches auch im Schein der Stirnlampe möglich wäre. Es war zu Beginn meiner ausgedehnten Reisezeit, eine der ersten außereuropäischen Touren, als ich Länder überwiegend aus Dokumentationen, Reportagen und Bildbänden kannte – nun selbst quasi im Fernsehbild zu stecken, war ungewohnt und fremd, manchmal befremdlich, beinahe abstrakt…
Ich vergrub mich in Licht und Farben, Texturen und frühnächtliche Gebirgskälte, wie ich nicht Younis auf mich zusteuern sah. Seine Augen bohrten sich in meine Richtung, solch ein Stechen! Er war etwas dunkler als die üblichen Omani, kräftig und leicht untersetzt gebaut, von einem edlen Stolz, wie man ihn nur selten antraf. Er entstammte einem alten, prestigeträchtigem Clan.
Ich seufzte: mir blühte eine Extrabehandlung, wie während der gesamten Tour bereits zuvor. Er wusch mein Geschirr ab, während die anderen es selbst besorgen mußten. Er teilte mir besonders große Portionen der Mahlzeiten aus, die er zubereitete. Wann immer möglich, trug er trotz Protest mein Gepäck. Und nun also entfaltete er mir die Zeltplane, steckte die Stangen zusammen, montierte alles zu einem kleinen, feinen Nyloniglu, wobei er mir nicht erlaubte, zu helfen. Einem verzogenem Prinzeßchen gleich stand ich ratlos und mit mulmigem Gefühl neben ihm, wo doch die anderen sich längst eigens um ihren Schlafplatz gekümmert hatten.
So besuchte er mich denn auch zu meinem mit Entsetzen vermengten Erstaunen des Nachts. Ob er eintreten dürfe, fragte er, und ich getraute mich nicht, zu verneinen. Ich hatte mich eben waschen wollen, die Plastikschüssel war mit duftendem Schaum gefüllt.
Er zeigte mir Fotos, die auf seinem Handy gespeichert waren: Fotos der Touren, die er für den örtlichen Reiseveranstalter in Musqat durchführte, Sehenswürdigkeiten über Sehenswürdigkeiten des Landes, unterbrochen von einer Masse Touristen, Aufnahmen seiner Familie, seines zu Hauses, jedes kleine Detail seines Lebens und Tuns – ich erwachte erst aus dem gleichgültigen Nicken meiner Langeweile, als der junge Mann anmerkte, er sei unverheiratet und ich sehr sexy. Ich vermag nicht zu sagen wie, aber endlich, nach einer Ewigkeit, bekam ich ihn aus meinem Zelt manövriert; er zwang mir noch zum Abschied einen Kuß auf die Wange auf. Es war beinahe Mitternacht.
Die einseitige Plauderei konnte nicht unbemerkt geblieben sein. Ich entschuldigte mich bei Maureen, meiner unmittelbaren Zeltnachbarin, für die Störung des Schlafes. Sie zuckte mit den Schultern.
“Ich dachte, du telefonierst.” sagte sie lakonisch. In den Bergen…