47 Wunschzettel mal anders
München, Dezember 2018.
Liebes Christkind,
vielleicht gehst du ja auch mit der Zeit und nimmst nur mehr digital erstellte Wunschzettel an, die letzten Jahre hast du mich nämlich leider vergessen, obwohl ich mir so viel Mühe gegeben habe mit meinen kaligraphisch verfaßten Listen auf dem Fensterbrett…
Freilich lagen unter dem geschmückten Tannenbaum Geschenke, die zwischen Freunden und in der Familie ausgetauscht worden sind, liebevoll ausgesucht und hübsch verpackt, festlich, traditionell, obligatorisch wie der alljährliche Gewürzduft, Kerzenschein, die glitzernden, bunten Kugeln. Ich möchte also wirklich nicht undankbar wirken!
Aber du, liebes Christkind, du bist ja doch für die Wünsche zuständig, die ein Mitmensch nicht erfüllen kann.
Ich möchte dich nochmals daran erinnern, daß wir vom Weltfrieden ein ganzes Stück weit entfernt sind, wir Hunger, Elend, Würdelosigkeit, Gewalt, Hab- und Machtgier nicht überwunden haben, ganz zu schweigen von ökologischer Destruktion. Das überblickst du vom Himmel oben aus viel besser und deutlicher als wir, die wir alle mit Kurzsichtigkeit geschlagen sind. Ich weiß, daß wir selbst etwas tun müssen und daran arbeiten, daß sich die Dinge einrenken, nur: wenn ich mir die Nachrichten zu Gemüte führe, die spezifischen Sachbücher und Berichte, dann frustriert, entsetzt, ekelt es mich so sehr, daß ich resigniert, depressiv verstimmt, mutlos den Kopf in den Sand stecke, denn: wo anfangen? Was ausrichten? Und ich bin mir ganz sicher, daß es vielen, vielen Menschen ähnlich ergeht, wir sind nicht derart gleichgültig und kaltherzig, wie es den Anschein haben mag, wir brauchen bloß einen aufrichtenden Schups, einen himmlischen Anstoß quasi, ein kleines Engels-Cheerleading, einen Hopp-Hopp-Los-geht´s – Ruf, den festen Glauben an individuelle Wirkmacht und Selbstwirksamkeit, vielleicht kannst du dafür ein paar deiner Kollegen (ok, vermutlich eine Heerschar) abstellen? Das wäre echt prima! Und schieb es besser nicht mehr allzu lange auf, es dünkt mir verdammt – pardon! – dringend.
Und jetzt zum zweiten Weihnachtswunsch, falls das nicht zu viel verlangt ist, der erste ist immerhin bereits ein gewaltiger Job für dich; im Vergleich dazu klingt er ziemlich banal. Wie erwähnt, von deiner Warte aus, quasi vom Universum, springen dir die Dinge einfach eher ins Auge. Gesucht wird: männlich, plus/minus mein Alter, intelligent, sportlich aktiv, humorvoll, einfühlsam, kreativ, abenteuerlustig, lesefreudig, vielseitig interessiert, lebensneugierig, kulturbeflissen, ordentlich, pünktlich, respektvoll, seelisch flexibel, gesundheits- und verantwortungsbewußt, naturverbunden, ökologisch orientiert, reiseaffin. Alternativ kannst mir einen kettenrauchenden, dem Alkohol zugetanen Couch Potatoe schicken, der seine Freizeit abwechselnd vor dem Fernseher und mit Computerspielen verbringt, dem Mitmenschen und Umwelt schnurz sind, solange sie ihm nicht Vorteile verschaffen, der auf Fast Food steht und nicht weiß, wie man Antiquitäten schreibt bzw. Kultur ausschließlich im Yoghurt für Magermodels vermutet, für den ich mich blondieren müßte und die Cupgröße aufstocken. Nur, liebes Christkind, wenn du mir letztere Sorte Mann schickst, dann bitte, bitte denk daran, daß du mich auch verliebt in ihn machst – sonst klappt das nämlich nicht!
So, liebes Christkind, heuer habe ich es einmal mit einem virtuell veröffentlichten Wunschzettel probiert, um die Reichweite zu erhöhen.
Zum Schluß möchte ich dich auf gleichem Wege fragen:
Womit könnte ich dir denn etwas gutes tun?
Aufs herzlichste,
deine Laura