304, Teil III: A taking man

304, Teil III: A taking man

Grönland, August 2025.

Sein Lachen war samtig und dunkel wie Bitterschokolade, die Augen glänzender Lakritz. Er interessierte sich aufrichtig für das, was ihn umgab, studierte Mineralien am Boden, die Flora, imitierte Vögel, ihnen einen Laut-Dialog entlockend. Er schleppte mehr Equipment als alle anderen, wuchtete den Wasserkanister für die gesamte Mannschaft von den Bächen zum Lager über Steigungen hinweg. Er war sehr amerikanisch, also selbstbewußt, voller Tatendrang, fordernd, auch sich selbst viel abverlangend. Muskulös gebaut, athletisch. Er besaß den Schein für mehr als zwanzig Waffen und war vertraut mit diversen Jagd- und Angeltechniken. Er trug Schnauzer und Cap, sprach in breitem Missouri-Dialekt. Einigen war er zu viel, sie nannten es „too taking“, aber ich sah manchmal etwas in seinem Blick, das sehr weich war, angreifbar, nicht melancholisch, eher suchend, und dieses gewisse Zarte der Augen im Zusammenklang mit aufrichtigem Lachen machte ihn mir recht attraktiv. Für mich war der nicht „too taking“, für mich war er kraftvoll.

Gelegentlich entspannen sich archaische Szenen, bei denen es mir nichts ausmachte, daß irgendwelche Urinstinkte ansprangen; vor langer Zeit hatte mir eine Mitreisende giftig vorgeworfen auf einer Trekkingtour durch den Oman, ich sei oberflächlich, weil trainierte Körper mir gefielen (ihr Partner zählte zur nicht ganz wohlgeformten Partei), seitdem traue ich mich zuweilen nicht, zuzugeben, daß mir eine bestimmte Sorte definierter Physiologie zusagt (bei Männern wie Frauen). Austin wußte ziemlich genau, was er zu bieten hatte, er marschierte durchaus während der Wanderpausen in nichts als engen Unterwäscheshorts durch die Gegend. Wir rasteten auf der Kuppe einer Erhebung, gebettet auf den allgegenwärtigen Krähenbeeren und Zwergbirken (nur etwa zehn Zentimeter hoch), während die Sonne hinunterkrachte und alles zum Gleißen brachte. Vor uns breitete sich eine Ebene aus, hinter welcher wiederum ein steiler Gebirgszug voller Scharten und Kanten und Zinnen und Spitzen unwirklich aufragte, als sei er die Kulisse für einen Fantasyfilm made in Hollywood. Austin ging auf diese Bergkette zu, sein Körper nun als Meßskala dienend, die erst begreifbar werden ließ, wie groß und überhaupt großartig die Naturkulisse um uns herum war, das Licht spielte auf den Muskeln und Tattoos, bis er fast als Punkt in der Ferne entschwand. I am just missing the picture of my life!, rief ich aus, und die Frauen der Gruppe lachten gemeinschaftlich auf.

This would have been another nice photograph, sagte die Französin, mich anrempelnd, sodaß ich den Blick hob. Unser Guide, in Unterhosen wie Austin, schmiß dicke Brocken ins stürmende opake Wasser, während letzterer in gebückter Haltung über der rauschenden Oberfläche kauerte, im schmerzhaft eisigen Naß verharrend, als handle es sich dabei um eine heiße geothermale Quelle. Die geworfenen Steine sollten Fische nach oben schrecken, offensichtlich mit Erfolg. Nach einer Minute oder so fingen Austins Arme und Rücken an zu arbeiten, er griff mehrfach ins Wasser. Etwas wand sich in seinen Händen, aufspringend, doch Austin hechtete hinterher, mit blanken Knien schlug er auf dem Flußgestein auf, über große Kiesel robbend, den Fisch am Schwanz packend, der abermals entkam, aber Austins Hartnäckigkeit, seine Entschlossenheit und Schnelligkeit waren stärker ausgeprägt als der Überlebenswille des Fisches, er bekam ihn zu fassen, endgültig nun, er hob ihn in die Luft, ihn uns präsentierend, dann rasch an Land schleudernd, wo der Leib zappelte und sich wand, ein herrlich rotoranger Bauch, der Rücken silbern schillernd. Austin reckte die Arme empor, I am a man! ausrufend, in den Ohren der einen angeberisch, in jenen der andern humorvoll. Kurz darauf erwischte er einen zweiten: für die Gruppe würde es am Abend arktischen Seibling geben. Für mich als Ethnologin war es absolut faszinierend, mitzuverfolgen, wie ein Mensch mit bloßen Händen ohne jedes Werkzeug einen stattlichen Fisch aus wildem Gewässer zieht, eine prähistorische Szene, ein menschgewordener Bär… Als Frau war ich noch mehr angetan, sportliche schöne Körper in Aktion, Halleluja! Mein Reisepartner hatte gefilmt per Smartphone, Austin wollte das Video haben und teilte seine Nummer mit. Allerdings vergaß er das mit den internationalen Vorwahlen, sodaß das Video (einige Zeit später in der Gemeinschaftshütte mit Verbindung) nicht bei Austin ankam, sondern auf einem deutschen Handy landete. Kennen wir uns?, kam es aus der fernen Heimat. Das Profilbild des What´s App Accounts zeigte ein apartes Teenagermädchen – ich lachte mich scheckig, bestimmt eine halbe Stunde lang, ich wieherte wie ein Pferd, gackerte hühnergleich, bis mir der Bauch weh tat, ach, seliges Lachen, was habe ich dich vermißt!!

 

Illustration zeigt ein Bild, das durch eine von innen her beschlagene Linse entstanden ist, geschuldet dem eingedrungenen Wasser während des Fluß-Sturzes; es ist das letzte auf der Grönlandtour entstandene Foto