296, Teil V: Moon Jar

Südkorea, März 2025.
Sie haben einen Meditationsraum geschaffen. Er ist im zweiten Stock des Koreanischen Nationalmuseums angesiedelt, am Ende einer der beiden Galerieseiten. Vor dem Betreten bedeuten Bildzeichen, das Reden einzustellen. Man schreitet durch einen schmalen, schwarzen Korridor, der mit einer Sternenprojektion bespielt ist. Man biegt ab in einen unvermittelt weiten Saal, stark verdunkelt, die Wände rostrot (in diesem Licht eher gedeckt braun wirkend) gestrichen. Nur zwei steinerne Statuetten, buddhistische Gottheiten, sind hier ausgestellt auf erhöhten Sockeln, punktuell angestrahlt von Deckenspots. Ein sich etwas langweilender Wächter auf einem Hocker im abseitigen Düster achtet darauf, daß die Ruhe eingehalten wird. Sonst gibt es nichts dort. Wie wunderbar! Man atmet sogleich tiefer. Fühlt sich geborgen, verstanden. Eine Museumshöhle, ein Gegenstand gewordenes Bauchgefühl, ja überhaupt: wie im Bauch der Mutter vor der Geburt, so kommt man sich vor. Und die Ungerechtigkeit, die Wut, die Mißstände, die eigenen Unzulänglichkeiten, die Sorgen, die bleiben draußen, die hat man beim Bitte-nicht-sprechen-Schild aufgehängt wie die Jacke an einen Garderobeständer.
Was ist auf Reisen anders? – Man selbst ist anders. Warum? – Neugieriger ist man, wacher. Man unternimmt mehr, weil man wohl nur diese eine Chance hat dafür, wenn man nicht jenen angehört, die grundsätzlich wiederholen und gleiches wählen (zwanzig Jahre im selben Robinson Club verbringen). Jede Menge Personen sind häufiger verreist als ich, weiter, länger, abenteuerlicher, gewagter, kompromißloser, in eine größere Anzahl Länder, Touren mit Expeditions-, mit Wissenschaftscharakter, sozialer Mission, oder auch klassisch als Guide. Ihr Output ist produktiver, Bildbände entstehen daraus, Podcasts, preisgekrönte Fotos (für all dies kenne ich persönlich Beispiele). Ich bin ja eigentlich, im Grunde genommen, ein stinknormaler Touri. Gut, für den mittlerweile ausgegebenen Betrag hätten andere sich eine Wohnung gekauft oder zumindest ein dickes Auto; ansonsten, sich ehrlich eingestanden, hatten sich meine Reisen im gängigen, gewöhnlichen Rahmen bewegt. In meinem Umfeld aber bedeuten sie Höchstleistung, Extravaganz, Extrem, denn es leben dort Leute, die es aus Bayern nicht herausgeschafft haben oder die noch nie (!!) mit einem ICE gefahren sind oder länger als zwei Stunden zu Fuß gegangen am Stück, die auf einer Landkarte nicht die Länder Europas verorten können (geschweige denn die Hauptstädte) und deren Statusobjekt ein VW Bus ist und Tickets für das Harry Potter – Musical oder ein Rütter-Kabarett (genau, der mit der Hundeerziehung). Auf einem Yoga Retreat am Tegernsee (vgl. Beitrag 287) saßen die teilnehmenden Damen am Abendbrottisch, sich kennenlernend unterhaltend. Eine äußerst sympathische, sportliche Frau mit natürlichem Glow und Esprit, leicht angeschickert vom Sekt, in gehobener Position für Siemens in Hamburg arbeitend, prustete fidel hervor: „Da wo ich aufgewachsen bin im Dorf, da war der kulturelle Höhepunkt der Woche – man kann es gar nicht sagen, haha -, also da war das gesellschaftliche Highlight, auf das alle hingefiebert haben, stellt euch vor, das war das freitägliche Kegeln!!“ Und sie kringelten sich vor Lachen, während mir meines im Halse stecken blieb, denn genau so ist es, wo ich wohne, handle, denke. Grillen, Fußball, Rauchen (inzwischen auch Kiffen), Trinken, Kegeln, Campen, Wellnessen, Lästern, Schäkern, Fleisch, (Enkel/Kinder/Schule), darum dreht sich das ganze Universum, ihr Universum, das leider dadurch zu dem meinen wird, weil Gespräche, die aus diesen Kosmos hinausführen, sofort versickern, oft sogar unterbrochen werden durch Themenwechsel oder offensichtliches Nichtzuhören. Es fehlt ihnen an mit Inhalt gefüllten Begriffen. Für sie bleibt abstrakt, fremd, ja befremdend, was ich zu erzählen versuche. Höchstens Prahlerei kommt an bei ihnen, wird herausgefiltert. Wenn ich folglich auf Reisen bin, dann sauge ich so viel Nährendes auf wie nur irgendmöglich, damit ich es speichern kann für die mageren, darbenden Monate, die ich im Alltag zu Hause verbringen muß. Insofern wäre es Wahnsinn, den Vorsatz zu realisieren, das Reisen zu stoppen…
Das Mädchen vom Kaff war unendlich stolz auf sich, die Fahrt mit der Metro gemeistert zu haben, Seoul als Megacity hatte arg eingeschüchtert (von der Aussichtsplattform des Lotte World Tower aus bis zu 555 Metern Höhe betrachtet, kann ich sagen: es ist die häßlichste Stadt, die ich jemals besucht habe trotz einiger netter Gebäudeensemble). Ticketkauf, Orientierung an den Bahnhöfen, Umstieg, alles hatte perfekt geklappt, sodaß sie am Eingang des Nationalmuseums stand, ein moderner, zeitgenössischer Bau, der dennoch Referenzen an alte Festungsformen aufwies, bossierte Mauerung etwa, und der umgeben war von einer Parkanlage samt Weiher, blühender Azaleen, Bäumen, der also Grün sprühte, Luft und Leichtigkeit.
Moon Jar, der Name schon! Die schönste nahm eine Vitrine für sich ein. Es glich eher einem quadratischen Zimmer, heiligen Ort; zudem erinnerte es an Dioramen, nur daß die imitierende Umwelt nicht ausgestopften Tieren galt, sondern einer Jahrhunderte alten Keramik. In der Mitte des Volumens, auf einem Podest, war die stattliche, runde, weiß glasierte Vase, eine imposante Kugel, positioniert. Im Hintergrund lief eine animierte Illustration: ein gezeichneter Mönch im Schnee, wie er Fußspuren hinterläßt; kahle Kirschbäume, blühende Pflaumen; ein aufsteigender Vollmond, der in gerader Linie zum Exponat steht, erst hell, dann dunkelblau; Tuschekalligrafien; manchmal verschwindet die Projektion, dann bleibt nur die Vase… Ich saß auf der Bank vor der Vitrine; viele Bänke fanden sich nicht im Museum, sodaß die Einladung, sich niederzulassen, eher einem Befehl glich oder zumindest einer deutlichen Empfehlung. Ich saß und schaute und begehrte. Oh, was drückte mich plötzlich der Wunsch, eine Moon Jar zu besitzen! Warum? Wie das? Sie war präsentiert wie ein Heiligtum, als sei sie wahrhaftig ein Abbild des Mondes, verehrungswürdig. Sie strahlte eine ungeheure Kraft aus in ihrer völligen Ruhe. Sie bewegte mich, berührte. Sie gemahnte an Archaischeres, Ursprünglicheres als die mir zu eigene Ratio, geschichts- und faktenorientiert, oft hart und ungeschminkt, frustrierend, auszehrend. Dieses geformte, geweißte Stück Ton, gebrannt, ewiglich (nichts ist ewig, aber es wirkte so), es hatte einen Sog, als sei das Universum dahinter. Ich hatte viel, wirklich viel herrliches gesehen im Museum, insbesondere die Celadonabteilung und die gigantischen, x Meter hohen Buddhas, die Tigermalerei, der Meditationsstein (eingelassen direkt in den Parkett), die Sammlerregale mit Schenkungen privater Leute. Aber die Moon Jar, die war mein Highlight an Faszinosum! Noch im Park draußen googelte ich neugierig, sich erkundigen kostet schließlich nichts – die echten Moon Jars hingegen schon: 2024 war eine versteigert worden bei Sotheby´s, und zwar zu 3,6 Millionen Dollar… Zeitgenössische Kopien, denen natürlich die Authentizität fehlt, die fangen bei mehreren tausend Euro an, tja…
Vielleicht eine Viertelstunde, vielleicht zwanzig Minuten verbrachte ich vor der Moon Jar (das Museum ist riesig!). Es waren äußerst dichte Momente, präsent, deren Wichtigkeit jede Beschreibung sprengen. Ein bißchen hat sie einen verwandelt. Es war ein Zauberding. Danke, daß ich dich erfahren durfte!
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