286 Love, Part One and Two
München, Dezember 2024.
Ist das nun betörend oder billig?
Es hat von beidem etwas, oszilliert auf einem schmalen geschmacklichen Grad, was mir doch gefällt. Ich spreche vom Duft “Devotion Intense” aus dem Hause Dolce & Gabbana, den ich mir probeweise auf den Handrücken aufgesprüht habe. Subtil ist er nicht! Er knallt mit einem Peng! heran wie das dickbusige Model auf einer Anzeige desselben Labels. Rassig, dröhnend, saftig, laut reckt sich die Frau entgegen, nichts mit Understatement oder Raffinesse, leiser Eleganz. Aber ist es nicht genau das, was mir fehlt? Ein sexueller Clash!, ein Erotikglam?? Wer sieht mich noch? Ich möchte knistern! Glühen, vergehen… Lecker sein, zum Anbeißen, candy… Und genau letzteres ist der Duft, klebrig-glänzend wie ein gelackter Zuckerapfel. Orangenblüte, Vanille, Haselnuß. Und unleugbar verführerisch Flakon und Name, das Perlenherz wie volkstümlicher Schmuck, überhaupt ein Herz, und der Name: Hingabe, göttlich, aufopfernd, zerfließend… Ach würde das ein Mann empfinden für mich, wie wäre das beglückend, berauschend.
Da fällt mir ein Traum ein von dieser Nacht, ein stattlicher Herr, den ich jüngst kennengelernt hatte (bloß im Traum; und wo, wie? Ich weiß es nicht), klingelte an der Haustür. Ich öffnete. Er küßte mich sogleich, zärtlich aber bestimmt, ich war überrumpelt (nicht unfroh), versuchte nach einer Weile, mich zu lösen, doch er hielt mich und meine Lippen weiter fest, bis wir zur Eingangsmauer umkippten und auflachten. Ein Minikurztraum, unfaßbar intensiv und schön, nährend. Da war jemand, der mich wollte (und ich ihn), mich liebte, der nicht losließ, sich nicht um Unsicherheiten scherte. Wow! Er war gewiß inspiriert von jenem Masseur am Tegernsee; zunächst war ich recht konsterniert gewesen, daß keine Frau (wie ich es sonst gewohnt war) die Fußreflexzonenanwendung vornehmen würde. Ich überlegte fieberhaft, ob ich genügend gut rasiert und gepflegt sei (ja!) und mußte an den häßlichen Körper und die Entenwatscheln denken; und eigentlich finde ich Füße schon irgendwie auch intim (obwohl ich gewiß keinen Fetisch hege!). Wie dem sei, er tat seine Arbeit famos. Wieviel Kraft er hatte, Können! Er war sehr, sehr trainiert, hatte Arme und Statur zum Anlehnen. Ich ertappte mich dabei, mir vorzustellen, was er mit seiner Stärke und seinem Geschick noch alles zustandebrächte, mich sofort zur Raison rufend. Solch einen Mann bräuchte ich an meiner Seite, der hätte Power und Haltung genug für mich! Dem könnte man sich anvertrauen, loslassen… Daß er viel nach Asien gereist sei zur Aus- und Weiterbildung, driiiiiiiiiiiiing!, was ihn freilich noch interessanter und anziehender machte. Ob es ihm denn, wenn er weit gereist sei, nicht recht eng wäre und klein hier, fragte ich. Am Tegernsee? – Nein, in Deutschland. – Er stutzte. Doch, schon. Dann lachte er. Wir hatten uns verstanden. G. I. stand auf der Rechnung, der Dialekt österreichisch. Mein Name war dort ebenfalls angegeben. Er hätte mich googeln können, mir schreiben.
Ein Mann, der sich nicht meldet, der will nicht. Oder ist feige. Pfffff! Ich stehe auf oldschool in gewissem Maße. Halt mir die Tür auf, schenk mir eine Rose. Tu den ersten Schritt. Klingle, küß mich, beehre mich mit “Devotion Intense”, selbst wenn du den Duft scheußlich süß findest und den Flakon kitschig. – Ja, was man nicht alles von sich gibt, wenn man am Nikolaustag allein in der adventsgeschmückten Küche sitzt bei Kerzenschein und elektrischen Sternen.
München, Oktober 2024.
Er dürfte Anfang dreißig gewesen sein, trug Chino zu Hemd und Wollpulli, womit er heutzutage ja bereits als fast ungewöhnlich gut gekleidet gilt, und am Gürtel war ein Luftballon befestigt, eine silberne Wolke, die über dem Mann schwebte mitten im Flughafengebäude; die Wolke lächelte comichaft-naiv, berührend in ihrer Schlichtheit. Ich war gespannt, wen er erwartete, nun bereits eine Dreiviertelstunde lang, ruhig, ohne jedes Zeichen der Ungeduld, ohne das Smartphone zu zücken.
Auf dem metallenen Kofferwagen schob sie das Gepäck, eine hübsche, sportlich-zarte Blondine mit Pferdeschwanz, ein Baby im Arm, ein Mädchen von drei, vier Jahren an der Hand, auf der Nase eine dicke Brille gegen das Schielen (das Kind, nicht die Frau). Ich war schon sehr oft und auch sehr lange auf Flughäfen fast der ganzen Welt, aber nie zuvor hatte ich eine derartige Begrüßung beobachtet. Die Familie stand sich gegenüber, irgendwie ehrfürchtig. Ganz langsam hob der Papa das Mädchen hoch, es sacht an sich drückend, weihevoll. Er setzte es ab, nun den Buben betrachtend, als könne er es nicht glauben, ihn vor sich zu haben. Er küßte bedächtig die Backe seines Sohnes, lange mit den Lippen darauf verweilend, man hätte meinen können, es handle sich um kostbares, antikes Porzellan aus China. In Slow Motion wandte er sich der Frau zu, unpretentiös tauschten auch sie einen Kuß aus, nicht stürmisch, nicht heftig, nicht lachend. Ein vorsichtiger Kuß war es, jeden Sekundenbruchteil genießend. Er löste sich von seiner Partnerin, sich abermals dem geduldig verharrenden Mädchen zuwendend, ihm offenbar erklärend, daß er ihm einen Luftballon mitgebracht habe. Das Mädchen strahlte, ohne zu hüpfen oder sonst einen Überschwang zu zeigen. Wieder ein Zeitlupenkuß für das Baby, hernach einen für die Mutter.
Für diese Familie gab es keinen Flughafen. Keine anderen Menschen. Sie war absolut herausgeschnitten aus jeglichem räumlichen, zeitlichen Zusammenhang. Es existierten diese vier, sie hatten einander wieder, nichts anderes zählte.
Da dachte ich mir, daß sie wohl doch nicht völlig zu verleugnen sei, die Liebe. Daß manche Menschen einander lieben konnten.
Illustration weder beschnitten, noch gedreht. Überbelichtung während der Aufnahme vorgenommen, nur minimal Kontraste später am PC verändert
Ich besitze ein dutzend „wertigere“ Düfte als Devotion Intense; es geht hier nicht um Parfüm-Evaluation, sondern um Assoziationsketten