284, Teil II: Ganz nett, mal wieder

284, Teil II: Ganz nett, mal wieder

Korfu, September 2024

Das Gewitter brüllt mich an, reißt mich aus Schlaf und Bett, es ist 6 Uhr 4, nach deutscher Zeit eine Stunde früher. Vor dem Fenster zucken grelle Stränge in alle Richtungen, der Regen faucht, und ein Donner knallt und schreit wie in einem billigen Horrorfilm. Selten war ein Unwetter mir derart nahe, aber ich schlief ja nicht im Zelt, sondern befand mich in sicherer Unterkunft. Ich studierte trotz Müdigkeit das Spektakel draußen, ganz in der Ferne eine Kette Berge, dazwischen gestreut kastige Häuser aus Beton. An einem blinkten orange Lichter auf, erst kleinere, dann größere. Sie schwollen an, ich fragte mich, was es sein könnte. Erst nach einer Weile begriff ich: der Blitz hatte getroffen und einen Brand entfacht. Feuer erfahre ich selten, so hatte es etwas bizarr-unwirkliches an sich. Der sintflutartige Starkregen rang es nach langen Minuten nieder, es unter sich erstickend nach und nach. Am nächsten Morgen hörte ich, auch in einem unserer Hotelgebäude habe ein Blitz Teile des Kamins gesprengt und Steckdosen zerstört.

Ein Ohrwurm begleitete mich die gesamte Woche über, ausgelöst durch den eher ungewöhnlichen Namen unseres Wanderguides, Luka. My Name is… I live on the second floor… Just don´t ask what it was. Ich mochte das Lied in seiner ungeheuren Traurigkeit.

Ein bißchen ist man wie diese Gläser abends auf dem Tisch, die ausgetrunken dastehen und nicht weiter beachtet werden; manchmal sind sie abgeräumt, ohne daß wer es mitbekommen hätte. Ja, man ist eines dieser geleerten Gläser, in denen Reste von Eis schmelzen und Zitronenscheiben vorsichhinmatschen: man hinterläßt keine Spur. Weggegriffen, weggetragen, vergessen; wenn es das dritte, vierte, fünfte Glas Alkohol gewesen war, wohl nicht einmal vollgefüllt richtig wahrgenommen. Doch, als Tourist, als betreuter Gast ist man das, ein Glas Bier oder Sekt oder Ouzu, eines von hunderten. Dafür sind Gläser schließlich da, so ist der Gang der Dinge, die Ordnung. Ich glaube, darum habe ich die Woche über mein leeres Glas (und jene anderer) selbst zurückgebracht an den Tresen unter manch verwunertem Blick. Man wird es müde, niemandem etwas anderes zu sein als ein massengeferigtes, zwecktaugliches Barglas.

Was habe ich gesehen, das nicht da war? – und was war da, das ich nicht gesehen habe…?

Yes, I think You´ve seen me before gleitet wieder nahtlos über in die vertrauten Klänge von My Old Pain und Sweet Babylon, Hymnen, glorifiziert, letzte Überbleibsel eines Heldentums.

Ich habe einige Passagen geschrieben über Korfu; ich denke, ich war nicht dort. Der Ohrwurm tanzt in die grüngelblichen Donnerschläge, tanzt ins fern gebliebene Meer hinein, hin zu den Definen, die kein Boot begleitet haben. Tanzt in die unberührte Hand, von den Erdbeerbaumfrüchten naschend und bezieht eines der Mondlichtschiffchen, die ich abschöpfe, bis sie bunt gemustert und trotzdem schick werden. Ein Lied begleitet mich durch die Woche und findet endlich Platz in spiegelnden, schwarzen, unendlich schönen Augen, jenen einer Gottesanbeterin, eines Schildkrötenjungen. Ich habe den Durrells meine Grüße ausgerichtet und mich dem Kongo angedroht, wissend, daß ich wohl kaum je dorthin reisen werde. Wieder war ich gelandet im Ausbremsenden, im Gezügelten, im Reglementierten, Stromlinienförmigen. Korfu ist kein Ort für wilde Bestien wie mich.

Hat dir die Reise gefallen? – Danke, ja, es war ganz nett.

Ich will mehr vom Leben! Ich will mehr als Nett.

Wir wurden durchgepeitscht vom tosenden Windregen, erbärmlich kalt und grausam durchdringend begoß er uns von allen Seiten, die wir auf einer künstlichen Landbrücke zwischen Meer und Flughafen standen, diese wahnwitzige Konstruktion einer kurzen, nur von Wasser umgegeben Zunge. Eine Maschine schon war vorzeitig abgedreht, die zweite kurz darauf wagte ihre Landung, doch wenige Meter vor dem Aufsetzen auf der Startbahn drückte eine Bö den rechten Flügel in gefährlichem Winkel zur Seite, das Flugzeug gertiet in der Luft ins Schlingern, gerade so gelang es dem Piloten, vollen Schub nach oben zu geben und einen Unfall zu verhindern; in großem Bogen entfernte es sich. Die dritte Maschine zog heran. Welch bizarre Szene! Solch ein großes, technisches Gerät in großer Geschwindigkeit sich einem frontal nähern zu sehen, die Muskeln spannen an, die Flucht muß aktiv unterdrückt werden und mit ihr das mulmige Gefühl. Aus den Lichtkreisen und der Schnauze wird ein richtiger Metalldrache, Hybridwesen aus Vogel und Hai. Verhältnismäßig dicht über einem rauscht die orange-weiße Easy Jet vorüber, man möchte sie festhalten, den Moment festbrennen – vorbei und weg. Sie landet wohlbehalten, doch war es das letzte Flugzeug, das über die Seeseite hereinziehen würde, der Wind barg zu große Gefahren, und von der Landseite her erlebte sich das Spektakel nicht wirklich. Wir flüchteten vor dem stürzenden Regen. Ich hatte das Touristischste überhaupt auf Korfu getan, war zum sensationsheischenden Flugzeug-Spotter geworden.

Die Brandung schwappt über den Wellenbrecher aus voluminösen Felsbrocken, die das beschaulich kleine Hafenbecken dahinter schützen vor der Kraft der rauen Brise. Fischlein huschen in Schwärmen durchs Wasser, über welches ausnahmsweise die Sonne streicht. Wir haben nichts anderes zu tun, sind schon spazieren gewesen, jeden Winkel beider den Ort flankierender Strandstreifen abklappernd. Ein nicht mehr recht seetaugliches Boot voller Rostflecken schaukelt als einziges angeleint vor sich hin. Wenn jemand da gewesen wäre zum Küssen, ich hätte nicht Nein gesagt. Die Flut steigt weiter an; wäre der lädierte Fußrücken mit der tiefen Schramme nicht, ich hätte die Beine hineinbaumeln lassen. Nicht einen Möwenschrei hörte ich während der gesamten Woche auf Korfu! Trillerpfeife der Freiheit.

Vielleicht, nein, gewiß war es nett; es genügte nicht. Soll das für den Rest meines Lebens so weitergehen? Dieses omnipräsente Erfahren eines Ungenügens? Solange bis jemand die Gläser abräumt, unbemerkt und unausweichlich?

 

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