124 Karo, schwarz-weiß
München, Januar 2020.
Man weiß, man ist in einer Stadt nicht mehr zu Hause, wenn man sich in ihr verläuft. Ich registrierte es mit leiser Verblüffung; die Pfützen waren mit quecksilbernem Schimmer überzogen, die Luft lag wie Zitronensorbet über den Dächern der Fassaden, die vertraut und fremd zugleich festlich aufragten.
Ein Mann brachte mich zum Lachen, als er sich in großformatiges schwarz-weiß Karo gewandet einmal um die eigene Achse drehte, die Arme schlenkernd, sich zu dezent aufgedrehtem Dancebeat bewegend, die Zeitung schwenkend, die Münchens Obdachlose verkaufen, um sich irgendwie zu fangen nach dem Absturz. Ihn freute mein Lachen, er zwirbelte den gepflegten, grauen Schnurrbart. Ich nahm ihm eines der Magazine ab, seine Augen leuchteten, ich sei die erste Kundin an diesem Tage, 17 Uhr. Er hatte mich berührt in seiner frohgemuten Würde und mich beschämt, die ich innerlich klage, wo es wohl genau betrachtet nichts zu beklagen gäbe.
Man kriegt offensichtlich doch im richtigen Moment die passenden Leute und Dinge vorbeigeschickt, ob man es begreift oder nicht. An der roten Ampel wartete ein anthrazitfarbener Camaro auf die nächste Grünphase. Der Herr hinter dem Steuer schien anzunehmen, meine Aufmerksamkeit gelte ihm, wo es der Wagen war, den ich studierte. Ich vereinbarte einen Termin beim Chevrolet Händler (einfach bloß aus Neugierde) und wünschte mir eine Stadtführung der BISS-Zentrale zum Geburtstag demnächst, in deren Rahmen man aufgeklärt wird über Arbeit, Schwierigkeiten, Bedürfnisse der auf Rudolph Moshammer zurückgehenden Organisation – Stiftung -, ein Widerspruch, gewiß, so wie es ein Widerspruch ist, wenn eine Vegetarierin einen Marderhundschädel verwendet für Fotoprojekte. Ich mache aus dem Entweder/oder ein Sowohl/als auch und fühle mich besser, als wenn ich mich gar nicht entschiede.
Der tanzende, obdachlose Zeitungsverkäufer hat mich glücklich gemacht für lange Sekunden, für die paar Minuten unseres Gespräches, er hat sich mir eingebrannt, ein Fremder, dem ich danke.